Translation und Realia
Otto Kade war einer der ersten, die sich nach dem zweiten Weltkrieg mit einer Wissenschaft des Ãbersetzens und Dolmetschens befassten. Die Bezeichnungen Ãbersetzung, übersetzen, Ãbersetzer sowie dolmetschen und Dolmetscher waren nicht genug abgegrenzt.
In den 60ern wurde das Produkt der beiden Ãbersetzung genannt, der Vorgang ebenso.
Kades Ziel war es ebenfalls, den Status der Ãbersetzer und Dolmetschen zu heben.
Translation ist der Oberbegriff für Ãbersetzen und Dolmetschen.
Ãbersetzen ist die Translation eines fixierten und demzufolge permanent dargebotenen bzw. beliebig oft wiederholbaren Text der Ausgangssprache in einen jederzeit wiederholbaren und korrigierbaren Text in der Zielsprache.
Dolmetschen ist die Translation eines einmalig (in der Regel mündlich) dargebotenen Textes der Ausgangssprache in einem nur bedingt kontrollierbaren und wegen Zeitmangels kaum korrigierbaren Text der Zielsprache.
Die wichtigsten Kriterien sind Wiederholbarkeit und Korrigierbarkeit.
Zweige des Dolmetschens:
• Simultandolmetschen
• Konsekutivdolmetschen
• Gerichtsdolmetschen
• Verhandlungsdolmetschen
• Kommunaldolmetschen
• Gebärdendolmetschen
Translator: Ausführender der Tätigkeit
Translat: Ãbersetzung
translatorisch: die Ãbersetzung betreffend
translatieren: übersetzen bzw. dolmetschen
Der Begriff Sprachmittlung wird von Knapp und Knapp-Potthoff für nicht professionelles Dolmetschen verwendet, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Die Translationswissenschaft (E: translation studies) sollte mehr sein als linguistische und semiotische Fähigkeiten. Sie ist in den 80er-Jahren durch Skopostheorie und die Theorie des translatorischen Handelns entstanden.
Entwurf für translation studies: Schema nach James S. Holmes (70er)
mediumorientiert: schriftliche, mündliche oder maschinelle Ãbersetzung
bereichsorientiert: multi- vs. monolingual
zeitorientiert: historisches übersetzen
problemorientiert: Metaphern, Wortspiele, etc.
Text: Textus – Gewebe: etwas Zusammenhängendes
Text (in Semiotik): Menge von Zeichen
Text (in Sprachwissenschaft): verbal, Reihe von Wörtern und Sätzen
Text (in Translationswissenschaft): ein kommunikatives Ereignis (Okurenz) – communicative occurrence
Text (Textlinguistik): schriftlich, mündlich
Was macht den Text aus?
• Kohärenz
o Text hat einen logischen Zusammenhang und einen Sinnzusammenhang
• Kohäsion
o sprachliche Zusammenhang
• Situation
o auÃersprachliche Situation (Zeit, Ort) bestimmt die Bedeutung des Textes
• Informativität
o Text soll etwas aussagen
• Intentionalität
o Intention des Senders
• Akzeptanz
o Empfänger muss Text als Text verstehen, auch wenn der Inhalt nicht verstanden wird
• Intertextualität
o jeder Text hat Assoziationen an andere Texte („Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein.“)
Auszug aus Handbuch Translation: Text, Textsorte, Texttyp
1. Text
Die Definitionen des Textbegriffs (lat. textus = Gewebe. Geflecht) sind fast ebenso vielfältig wie die Versuche, ihn zu definieren, zahlreich (vgl. hierzu Göpferich 1995:40ff .mit weiteren Literaturangaben). Festgehalten werden kann jedoch, dass ein Text aus funktionalistischer Perspektive (s Kap C1) nicht als rein (system-)linguistisch definierbare, formale Einheit, als "keine bloà syntaktisch geordnete Sprachzeichenmenge" (Schmidt 1972:17) aufgefasst werden kann, sondern als "Text-in-Funktion" (Schmidt 1973:145), als "Text-in-der-Situation" (Weinrich 1976:16), als "soziokommunikative Funktionseinheit" (Schmidt 1972:17) zu betrachten ist. Damit kann die Forderung nach Kohäsion, also dem rein sprachlichen, textinternen, formal-grammatischen Zusammenhalt, im Gegensatz zur Kohärenz, dem logisch-semantischen Zusammenhalt von ÃuÃerungen, ebenso wie die Forderung, dass mindestens zwei Sätze (jeweils mit Subjekt und Prädikat) vorliegen müssen, nicht zur Bedingung für das Vorliegen eines Textes gemacht werden. Definitionselemente für den Textbegriff sind aus funktionalistischer Perspektive vielmehr die thematische Orientierung, Intentionalität, eine erkennbare kommunikative Funktion. Kohärenz und Abgeschlossenheit, die sich auch in den meisten Textdefinitionen wieder finden (vgl. Göpferich 1995:56). Diese Kriterien werden z B. auch von Stücklisten erfüllt, die damit unter den Textbegriff fallen, obwohl sie nicht kohäsiv sind und nicht aus mindestens zwei vollständigen Sätzen bestehen.
Unter funktionalistischen Gesichtspunkten ist es auch nicht sinnvoll, den Textbegriff auf rein sprachliche Komplexe einzuschränken. Oftmals liefern Bilder nämlich Komplementärinformationen zum rein verbal Vermittelten, so dass ihre Ausgrenzung aus dem Textbegriff zu mangelnder Kohärenz des rein verbalen Restes fuhren und damit dessen Textstatus gefährden würde. Selbst reine Bildsequenzen können u.U. Textstatus haben. Diese wird schon daran deutlich, dass eine Bedienungsanleitung, die für eine Kultur A rein verbal abgefasst ist, für eine andere Kultur B mit hohem Analphabetenanteil u.U. in eine reine Bildanleitung überführt worden muss (Jakobson 1966:233 spricht hier von "intersemiotic translations" oder "transmutations"), wobei diese reine Bildanleitung dann für ihre Adressaten im Idealfall die gleiche Funktion erfüllt wie die rein verbale Anleitung in der Ausgangskultur und auch die oben geforderten Textualitätsmerkmale aufweist (vgl. hierzu das Beispiel von KuÃmaul 1995:75). Hieran wird zugleich deutlich, dass es beim funktionalen Ãbersetzen nicht um das Ãbertragen von Wörtern oder Sätzen geht, sondern um die Ãbertragung von Texten als der "Einheit, in der sich die sprachliche Kommunikation organisiert" (Isenberg 1977:144; vgl. hierzu auch Hartmann 1971:15). Dabei wird die sprachliche bzw. -umfassender - die semiotische Gestaltung eines Textes durch seine kommunikative Funktion bestimmt, ohne die sich, wie Oomen (1972:19) feststellt, kein Text ergibt und die jeden Text als Element einer Textsorte ausweist. Vor diesem Hintergrund definiert Göpferich (1995:56) den Textbegriff wie folgt:
Ein Text ist ein thematisch und / oder funktional orientierter, kohärenter sprachlicher oder sprachlich-figürlicher Komplex, der mit einer bestimmten Intention, der Kommunikationsabsicht, geschalten wurde, eine erkennbare kommunikative Funktion ersten oder zweiten Ranges erfüllt und eine inhaltlich und funktional abgeschlossene Einheit bildet (zur kommunikativen Funktion ersten und zweiten Ranges s Göpferich 1995:56f.)
Textsorten
.. sind nach Reià / Vermeer überindividuelle Sprech- und Schreibakttypen, die an wiederkehrende Kommunikationshandlungen gebunden sind (= finden in bestimmten Situationen statt) und haben bestimmte charakteristische Sprachverwendungs- und Textgestaltungsmuster.
Sie werden nach Situation, Kommunikationshandlung und den sprachlichen sowie nicht-sprachlichen Mustern definiert.
Textsortenkonventionen
• sind kulturspezifisch
• z.B. Kochrezept, Todesanzeige, etc.
Reihenfolge:
1. Signalerkennung
2. als Auslöser von Erwartungshaltungen
3. Steuerungssignale für das Verstehen
Auszug aus Handbuch Translation: Text, Textsorte, Texttyp
2. Textsorte
"Textsorten" können in Anlehnung an Pörksen (1974:219) mit Reiss/Vermeer (1984:177) definiert werden als "überindividuelle Sprech- und Schreibakttypen, die an wiederkehrende Kommunikationshandlungen gebunden sind und bei denen sich aufgrund ihres wiederholten Auftretens charakteristische Sprachverwendungs- und Textgestaltungsmuster herausgebildet haben" (vgl. auch Swales 1990:58). Dabei kann - ebenfalls mit Reiss /Vermeer (1984:192) -unterschieden werden zwischen "generellen Textsorten(klassen) - Brief, Märchen, Epos, Vereinbarung usw. -, die wahrscheinlich in jeder Schriftkultur vorhanden sind", "übereinzelsprachlichen Textsorten(klassen) - Sonett, Oratorium, Passionsspiel, Ghasel usw. -, die nicht in allen Kulturen anzutreffen sind", und "einzelsprachlichen Textsorten(klassen) - das japanische No-Spiel, das japanische Haiku usw. -, die kaum über eine Kultur hinaus verwendet werden".
Bei einzelsprachlichen Textsorten ist eine funktionskonstante Ãbersetzung (s Art 40,42) nicht möglich. Bei Textsorten, die sowohl in der Ausgangs- als auch in der Zielkultur etabliert sind, ist zu beachten, dass hier innerhalb einer Textsorte auf allen Sprachbeschreibungsebenen Unterschiede in den Textsortenkonventionen bestehen können, z B in der Makrostruktur, der Phraseologie, der Sprechaktverteilung und ihrer sprachlichen Realisierung, der Art und Weise, wie der Autor im Text von sich spricht und seine Leser anredet, der Vorkommenshäufigkeit metakommunikativer Elemente, der Lexik und der Interpunktion (vgl. hierzu Reiss/Vermeer 1984:184f). Diese Unterschiede, die mit Paralleltextvergleichen zu ermitteln sind (s. Art 50), können beim Ãbersetzen eine Anpassung an die zielsprachlichen Konventionen erforderlich machen (vgl. zu solchen Unterschieden in den Textsortenkonventionen deutsch- und englischsprachiger Texte aus den Naturwissenschaften und der Technik und ihrer translatorischen Behandlung Göpferich 1993 und 1995). Dabei ist zu beachten, dass Textsortenkonventionen (I) als Erkennungssignale, (2) als Auslöser von Erwartungshaltungen und (3) als Steuerungssignale für das Textverstehen dienen (Reiss / Vermeer 1984 189). In Bezug auf diese Funktionen hat der Verfasser und damit auch der Ãbersetzer eines Textes drei Möglichkeiten:
(1) Er kann die Textsortenkonventionen einhalten. Sie wirken dann als Textillokutionsindikatoren, die das Textverstehen in feste, vorgeformte Bahnen lenken, den erfolgreichen Verlauf der Kommunikation fördern, sie rationalisieren und erleichtern. Die Konventionen werden vom Leser dann zwar als Textillokutionsindikatoren wahrgenommen, seine Aufmerksamkeit konzentriert sich aber auf die inhaltliche Ebene des Textes
(2) Der Verfasser bzw. Ãbersetzer kann jedoch auch bewusst gegen die Konventionen ver- stoÃen, indem er zwar durch die Einhaltung einiger konventioneller Merkmale, die als Erkennungssignale wirken, beim Leser Erwartungshaltungen auslöst, diese jedoch dann durch KonventionsverstöÃe enttäuscht. In diesem Fall werden die Konventionen nicht mehr relativ unbewusst interpretiert, sondern treten in den Vordergrund des Bewusstseins. Havriinek (1964) spricht hier von einemforegrounding. Die Textsortenkonventionen beanspruchen in diesem Fall die Aufmerksamkeit des Lesers und lenken ihn von der Inhaltsebene des Textes ab Derartige Effekte werden in operativen und expressiven Texten (s 3) häufig genutzt, sind jedoch bei informativen Texten in der Regel unerwünscht.
(3) Der Verfasser bzw. Ãbersetzer kann die Textsortenkonventionen missbrauchen, etwa dadurch, dass er bloÃen Behauptungen einen wissenschaftlichen Anstrich gibt, indem er sie in die Konventionen wissenschaftlicher Abhandlungen kleidet. Pörksen (1974:232) spricht hier von "Sprachattrappen" (vgl. Göpferich 1995:167f.).
Texttypen
nach Katharina ReiÃ
geht von Organon-Modell aus den 30ern aus
3 Funktionen der Sprache
Auszug aus Handbuch Translation: Text, Textsorte, Texttyp
3. Texttyp
Mit dem Terminus "Texttyp" werden Klassen von Textsorten bezeichnet, die sich bestimmte Merkmale teilen Ausgehend von den drei Grundfunktionen sprachlicher Zeichen in Anlehnung an das Bühlersche Organon-Modell (Bühler 1982/1934), unterscheidet Reiss (1983:128) drei Texttypen sowie einen Mischtyp den darstellenden oder informativen, den ausdrucksbetonten oder expressiven und den appellbetonten oder operativen Texttyp, die jeweils durch die bei ihnen festzustellende Dominanz einer der drei Sprach- bzw. kommunikativen Funktionen charakterisiert sind, sowie den audio- bzw. multimedialen Texttyp. Diese Texttypen hält Reiss für übersetzungsrelevant. Für den informativen Texttyp fordert sie bei der Ãbersetzung primär ,Invarianz auf der Inhaltsebene", für den expressiven Texttyp, die Analogie der Gestaltung", für den operativen Texttyp "die Identität des textimmanenten Appells" (1983:20ff.) und für den multimedialen Texttyp je nach Textsorte ebenfalls eine der drei Ãbersetzungsmethoden unter zusätzlicher Berücksichtigung des Verbundcharakters bzw. des technischen Mediums der Textverbreitung (198323). Die Anwendung dieser Ãbersetzungsmethoden setzt allerdings voraus, dass ein Text funktionskonstant übersetzt werden soll. Ferner können diese Ãbersetzungsmethoden nur als grobe Leitlinien betrachtet werden, die nicht immer verbindlich eingehalten werden dürfen. So können auch bei funktionskonstanter Ãbersetzung beispielsweise auÃersprachliche Gegebenheiten, die in der Zielkultur von denjenigen in der Ausgangskultur abweichen, selbst bei informativen Texten inhaltliche Ãnderungen erforderlich und damit das Gebot der Invarianz auf der Inhaltsebene hinfällig machen (vgl. hierzu die Beispiele in Göpferich 1993 und 1995:172ff.; sowie kritisch House 1977:186).
Eine Subtypologisierung des Reiss'schen informativen Texttyps in Fachtexttypen speziell für den Bereich der Naturwissenschaften und der Technik mit entsprechenden Paralleltextvergleichen für das Deutsche und das Englische liefert Göpferich (1995:119ff.)
übersetzungsrelevante Texttypen:
• informativ (inhaltsbetont)
o strebt nach „Invarianz“ auf der Inhaltsebene
• expressiv (formbetont)
o Analogie der Gestaltung, Wahrung der Form
• operativ (appellbetont)
o Identität des textimmanenten Appells
Routledge Encyclopedia of Translation Studies, ed. Mona Baker (History and Traditions)
Ãbersetzungstypen
Die erste bekannte Ãbersetzungstypologie wurde von Roman Jakobson verfasst, dem bedeutendsten Linguisten im 20. Jh. Pionier in Semiotik. (Moskau geboren, Prag, Wien, USA)
1959 Veröffentlichung von „On Translation“, darunter „Linguistic Aspects of Translation“, worin er eine dreiteilige Ãbersetzungstypologie (Einteilung aus semiotischer Sicht) vorstellte.
1. intralinguale Ãbersetzung / intralingual translation: Paraphrase; Wiedergabe in der gleichen Sprache (z.B. TV-Untertitel für Gehörgeschädigte)
2. interlingual / translation proper: zwischensprachlich, allgemeiner Transfer; Definition der Ãbersetzung wie bei Kade
3. intersemiotische Ãbersetzung: Ãbersetzung zwischen den Zeichen, Ãnderung der Zeichen inkl. nonverbaler Zeichen und Mittel (z.B. Softwarelokalisierung; Filmübersetzung inkl. Geräusche, Gesichtsausdrücke; Piktogramme, Bilder, Zeichnungen, Skizzen in Bedienungsanleitungen, etc..)
Ãbersetzungstypen nach Katharina ReiÃ
Nachrichten sollte man besser schnell bekommen.
Um neun Uhr frühstückte er in dem hierfür vorbehaltenen Buffetzimmer zwischen Halle und Speisesaal.
1) Interlinearversion / Wort-für-Wort-Ãbersetzung
früher v.a. bei Bibelübersetzungen (sogar Wortfolge galt als Mysterium)
News should one better quick receive.
Round nine o’clock breakfasted he in this for this reserved buffet room between hall and dining room.
2) wörtliche Ãbersetzung / grammar translation
wurde lange in Schulen - z.B. im Lateinunterricht – verwendet
syntaktische Regeln stimmen, Idiomatik stimmt nicht unbedingt
One had better / should rather get news quickly / fast.
At nine o’clock he breakfasted in the buffet room between the hall and the dining room, which had been reserved for this purpose.
3) philologische / gelehrte / dokumentarische Ãbersetzung
Sprachverwendung (nicht nur Syntax) in der Ãbersetzung als Spiegelbild des Textes
Nach Nord werden bei einer dokumentarischen Ãbersetzung Aspekte des Ausgangstextes abgebildet, die Information wird wiedergegeben.
Der Leser / Empfänger ist sich bewusst, dass er Beobachter in einer fremden Situation und der Text eine Ãbersetzung ist.
It is better to get news fast. (The warning came too late.)
At nine he breakfasted in the buffet between the hall and the main restaurant which was used for serving breakfast. (D. Luke)
4) kommunikative / instrumentelle Ãbersetzung
Kontext wichtig
Nach Nord soll bei einer instrumentellen Ãbersetzung das kommunikative Ziel erreicht werden und soll genauso ankommen. Der Empfänger ist sich nicht bewusst, dass der Ausgangstext in einer anderen Situation entstanden ist.
Our news gets through on time!
He ate at 9 in a special breakfast room between the lobby and the dining room.
5) bearbeitende Ãbersetzung
z.B. Sender miteinbezogen
derStandard.at for instant information
(film script): Scene: breakfast room, 9 a.m., Aschenbach shown seated
Textanalyse
siehe auch: Translation und Text: S.43 – 48
Auszug aus Handbuch Translation: Textlinguistik
1. Translationswissenschaft als Textwissenschaft
,.Textwissenschaften" nennt Sowinski (198yI7) die Fächer, die im Gegensatz zur Textlinguistik Texte nicht als Gegenstand der Forschung, sondern als ,.Quelle für Informationen inhaltlicher, mitunter auch formaler Art" ansähen (z.B. Theologie, Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft, Psychologie, Philologie). Demnach ist die Translationswissenschaft, die Sowinski nicht nennt, ebenfalls eine Textwissenschaft, und dann gilt für sie auch: "Da sich der Blick des Textlinguisten auf Texte der verschiedenen Wissens- und Praxisbereiche richten kann, um die Entstehungs-, Bau- und Wirkungsgesetzlichkeiten aller Texte zu ermitteln, kann die Textlinguistik auch als eine interdisziplinäre Grundlagenwissenschaft aller ,Textwissenschaften' gelten."
Vor allem die Ãbersetzungswissenschaft hat den Ãbergang von der Wort- und Satzlinguistik zur transphrastischen Grammatik und dann zur Textlinguistik und schlieÃlich Texttheorie mit Interesse verfolgt Für die Dolmetschwissenschaft dagegen ist die Textlinguistik bislang von geringerer Relevanz, was mit dem besonderen Umgang mit Texten im Dolmetschprozess zusammenhängen dürfte (s Art 95, 96).
2. Ãbersetzungswissenschaft und Texttheorie
Unter Text"theorie" verstehen wir hier mit S. J. Schmidt (1973) die um eine pragmatische Komponente erweiterte Ausprägung der Textlinguistik. Die frühen, stärker strukturalistisch orientierten textlinguistischen Arbeiten (vgl. etwa Harweg 1968) sind von der Ãbersetzungswissenschaft nicht aufgegriffen worden. Die Erkenntnis, dass die Bedeutung eines Texts und damit auch der textkonstituierenden Verfahren nicht ohne Berücksichtigung der situativen Faktoren seiner Produktion bzw. Rezeption zu bestimmen sind, und die Herausarbeitung der Interdependenz zwischen textexternen und textinternen Faktoren, die letztlich zu einer
Textfunktions- oder Textsortenlinguistik und zu verschiedenen Texttypologien führte (s Art 17), hat dagegen die Entwicklung der modernen Ãbersetzungswissenschaft stark beeinflusst.
Textlinguistische Methoden und Erkenntnisse können überall dort für die Ãbersetzungswissenschaft (besonders die Ãbersetzungsdidaktik) relevant sein, wo der Text als Funktionseinheit im Blickpunkt steht: In der Analysephase, in welcher der Ausgangstext (AT) rezipiert und verstanden werden muss, in der so genannten Synthesephase, in welcher der Zieltext (ZT) formuliert werden muss, und in der Evaluierungsphase, in der das Produkt "Ãbersetzung" an den Vorgaben des Ãbersetzungsauftrags gemessen werden muss (s. Teil G).
3. Textlinguistik und Ausgangstextanalyse
Schon Reiss (1969) hebt hervor, dass eine gründliche Analyse des AT eine unabdingbare Voraussetzung für das Ãbersetzen darstellt. Ansätze zur Methodik einer solchen Analyse werden ab Mitte der 70er Jahre entwickelt, also etwa zeitgleich zur "pragmatischen Wende" in der Textlinguistik. Dabei hängt es von der übersetzungstheoretischen Ausrichtung ab, ob diese Analyse im Wesentlichen zur Verständnissicherung oder bereits zur Bereitstellung von "Ãbersetzungseinheiten" dienen soll. Ãquivalenzorientierte Ansätze befürworten eine sprachenpaarspezifische AT-Analyse, so etwa Thiel (1974) die eine übersetzungsrelevante Textanalyse vorwiegend als "Problemlösehilfe" an- sieht, die dort überflüssig sei, "wo im Hinblick auf die Erstellung eines zielsprachlichen Texts keine Probleme auftauchen". Auch bei Wilss (1977) liefert die Analyse des AT wesentliche Vorgaben für die Produktion des ZT. Hermeneutische Ansätze nutzen textlinguistische Verfahren zur Vertiefung des "intuitiven" Textverständnisses (so etwa Stolze 1981). Funktionale Ansätze (s. Kap C1) dagegen stellen die pragmatischen Aspekte des interkulturellen Kommunikationsaktes in den Vordergrund, so etwa Hönig (1986) und Nord (1988).
Die meisten texttheoretisch begründeten Modelle der übersetzungsrelevanten Textanalyse orientieren sich an den "W-Fragen" der sog Lasswell-Formel. Wer sagt was zu wem wann wo wie und zu welchem Zweck (vgl. Kalverkämper 1981:61)? Textlinguistische Kategorien im engeren Sinne, die hier nutzbar gemacht werden, betreffen vornehmlich die Bereiche Thematik, Inhalt ("was") und Textstruktur "wie"), wie z.B., Thema-Rhema-Gliederung und thematische Progression (vgl. dazu ausführlich Gerzymisch-Arbogast 1987), funktionale Satzperspektive, kohärenz- und kohäsionsstiftende Mittel wie Anaphora/Kataphora, Rekurrenz/Paraphrase, Isotopien, Substitutionsmechanismen oder Konnektoren (vgl. de Beaugrande/Dressler 1981).
4. Textlinguistik und Zieltextproduktion
Dass das aus dem Ãbersetzungsprozess resultierende Produkt ein Text sein sollte, der den Anforderungen der zielkulturellen Kommunikationsgemeinschaft an Texte im allgemeinen und Exemplare bestimmter Textsorten im besonderen genügt, ist eine Binsenweisheit, die jedoch weder in der Ãbersetzungspraxis noch in der Ausbildung immer hinreichend berücksichtigt wird In der übersetzungswissenschaftlichen Literatur wird diese Forderung besonders von den Vertretern funktionaler Ansätze erhoben - wie sie zu verwirklichen ist und wie textlinguistische Methoden dazu beitragen können, wird allerdings selten explizit dargestellt. Dass Texte auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Adressaten zugeschnitten sein müssen, bleibt so lange eine leere Formel wie die zielkulturellen Vertextungsgewohnheiten nicht durch um- fangreiche Korpora belegt sind
Der Ansatz, der hier Erfolg versprechen kann, beruht auf der ebenfalls textlinguistisch begründeten Kategorie der Intertextualität. Jeder neu zu produzierende Text wird in das bereits bestehende Textkorpus integriert und entsprechend seinen sprachlichen Merkmalen vorhandenen Texttypen oder -sorten zugeordnet werden Die textinternen Merkmale zielkultureller Paralleltexte (s Art. 50) zeigen also, wie ein erwartungskonformer Text einer bestimmten Textsorte in der Zielkultur (proto)typischerweise aussehen müsste. Das gilt auch für die Fälle, in denen in einer Zielkultur erwartet wird, dass Ãbersetzungen besondere (text)linguistische Merkmale aufweisen.
5. Textlinguistik und Ãbersetzungsevaluierung
Die ersten textlinguistischen Arbeiten zur Evaluierung von Ãbersetzungen gehen noch von "textgrammatischer" oder "textlinguistischer" Invarianz bzw. Ãquivalenz zwischen AT und ZT aus (z.B. Dressler 1972:106). und auch die ersten übersetzungswissenschaftlichen Arbeiten in diesem Bereich (z.B. Reiss 1971) gehen, wenn auch unausgesprochen, von dieser Prä- misse aus. Aus funktionaler Sicht kann jedoch die Qualität eines Translats nur anhand der durch den Ãbersetzungsauftrag definierten in- tendierten Ãbersetzungsfunktion gemessen werden, und die Funktionalität des Translats kann je nach dem geforderten Ãbersetzungstyp (s. Art 39) entweder durch die Reproduktion bestimmter Merkmale des AT oder durch die Orientierung an bestimmten Merkmalen ziel- kultureller Paralleltexte gesichert werden. Bei- des erfordert jedoch ein texttheoretisches Vor- gehen. Im ersten Fall ist zur Evaluierung ein Vergleich des ZT mit dem AT, im zweiten dagegen ein Vergleich des ZT mit zielkulturellen Vertextungsnormen und -konventionen der betreffenden Textsorte angebracht. Das gilt unab- hängig davon, ob die übersetzende Person selbst die Evaluierung vornimmt oder ob hier eine zusätzliche Revisionsinstanz eingeschaltet wird (s. Teil G).
6. Der Beitrag der Ãbersetzungswissenschaft zur Textlinguistik
Wenn zwischen Textlinguistik und Translationswissenschaft nicht nur ein "Dienstverhältnis", sondern echte Interdisziplinarität bestehen soll, ist auch nach dem Beitrag der Ãbersetzungswissenschaft für die Textlinguistik zu fragen. Dieser könnte darin bestehen, dass die Ãbersetzungswissenschaft aufgrund ihrer interkulturellen Interessen Fragen stellt, die aus intrakultureller Sicht nicht in den Blick kommen.
Die Erforschung der sprach- und kulturspezifischen Form, Frequenz und Distribution der oben aufgeführten kohäsionsstiftenden Mittel, um nur ein Beispel zu nennen, kann nicht Gegenstand der Ãbersetzungswissenschaft sein, sondern gehört in die einzelsprachlichen Philologien. Die Ergebnisse solcher Forschung kämen jedoch wieder der (angewandten) Ãbersetzungswissenschaft, besonders der Ãbersetzungsdidaktik, zugute - und das wäre echte Interdisziplinarität.
Funktionale Analyse geht nicht von Text als Folge von Sätzen, sondern von den Forderungen des Ãbersetzungsauftrags aus.
Textinterne Faktoren sind die sprachlichen Merkmale, an denen die rein linguistische Analyse interessiert ist.
Textexterne Faktoren sind die situative Einbettung eines Textes, die für die übersetzungswissenschaftliche Analyse relevant sind.
Lasswell-Formel: Wer sagt was zu wem, wann, wo, wie und zu welchem Zweck?
Modelle der Analyse von Christiane Nord:
Textexterne Faktoren
Wer: Sender, Produzent übermittelt
Wem: Adressaten, Rezipienten, Empfänger
wozu: Intention
über welches Medium: „channel“
wo: Ort
wann: Zeitpunkt
warum: Kommunikationsanlass
mit welcher Wirkung: Funktion / with what effect
Textinterne Faktoren
Worüber: Thema sagt er
was: Inhalt
was nicht: Präsupposition
in welcher Reihenfolge, welchen Wörtern, in was für Sätzen, in welchem Ton (stilistisch-formale Merkmale)
mit welchen non-verbalen Mitteln (z.B. Logo)
Beispiel Bescheid
Sender: Uni Wien
Produzent: irrelevant
Adressat: Absolvent/in, Behörde
Wozu: Mitteilung des Studienabschlusses
Medium: Rechtswerkzeug Bescheid
Wo: Wien
Warum: weil Studienabschluss
Profil des Zieltextes nach Nord
Wer soll wozu wem, wann, wo und warum einen Text mit welcher Funktion übermitteln? Worüber soll er was (und was nicht) in welcher Reihenfolge, unter Einsatz welcher non-verbalen Mittel, in welchen Worten, in was für Sätzen, in welchem Ton, mit welcher Wirkung sagen?
Ãbersetzungsauftrag:
Wer: Uni Wien
Wozu: soll in aller Welt verständlich sein; auch dort, wo es nicht das deutsche Rechtssystem gibt
Wem: Absolvent, evtl. Behörden
Wann: Ãbersetzungsabgabetermin; Gültigkeit bis ..
Wo: Wien
Warum: fehlerhafte Ãbersetzung ersetzen
Funktion: zum Weiterreichen an ausländische Behörden
Ton: sachlich, nüchtern
Wirkung: der Text muss verstanden und akzeptiert werden
Ãbersetzungsprobleme nach Christiane Nord
• pragmatische Probleme – textexterne Faktoren
o gehen aus von
ï§ Kommunikation
ï§ Zeit
ï§ Ort
ï§ Kultur
• kulturpaarspezifische Probleme
o Normen
o Konventionen
o einschlieÃlich TSK (Textsortenkonventionen)
o nicht textspezifisch
• sprachenpaarspezifische Probleme – textinterne Faktoren
o Lexik
o Syntax
o Bsp. Modalartikel: andere Methoden, um dies auszudrücken
• textspezifische Probleme
o individuelle Texte
o Beispiele:
ï§ Wortspiele
ï§ Sprachspiele (James Joyce)
Daraus ergeben sich subjektive Ãbersetzungsschwierigkeiten, die mit Konzept, Situation des Ãbersetzers und Zeitdruck zusammenhängen.
Im Gegensatz dazu stehen objektive Probleme, die man isolieren können muss.
Ãbersetzungseinheit (nach Nord):
• mit der Zeit verändert
• früher: Wörter, Vokabellisten
• 1970er: pragmatische Wende im Sprachgebrauch
o Struktur, Satz = Ãbersetzungseinheit
o satzweise Ãbersetzungen
• später: Ãbersetzungseinheit = Text
• vom Wort über Struktur, Phrase zum Satz und dann zum Text: Abkehr von linearen Textsegmenten
Fachsprache, Ãbersetzen und Kultur
Früher gab es nur literarisches Ãbersetzen, Alltagsübersetzen war kaum ein Thema. Nach Friedrich Schleiers Rede von 1813: „das eigentliche Ãbersetzen und bloÃe Dolmetschen = Geschäftskorrespondenz, Alltagsübersetzen) kam lange nichts mehr.
Erst durch Otto Kade wurden literarisches und pragmatisches Ãbersetzen („Gebrauchsübersetzen“) wieder Thema.
Fachkommunikation
• neue Erscheinung
• funktionalistische Sprachbetrachtung der „Prager Schule“ (wie funktioniert Sprache)
• vorher nur Funktion der Sprache, nicht der Gebrauch
• Sprachgebrauch wurde zum akademischen Thema
• Aufkommen der Wirtschaftslinguistik als Faktor im Leben
• Fachsprachenforschung zum Gebiet der angewandten Linguistik
• Entwicklung der Fachübersetzung (Globalisierung)
Fachübersetzen
• ist der Gegenstand der Begriffe und Benennungen in einem Fachgebiet
• Genauigkeit ist Wesen eines Terminus’
• EU-Termini mussten künstlich geschaffen werden
Fachsprache
• DIN 2342
• ist der auf eindeutige und widerspruchsfreie Kommunikation im jeweiligen Fachgebiet gerichtete Bereich der Sprache (=Premodifikation), dessen Funktionieren durch eine festgelegte Terminologie unterstützt wird
Gemeinsprache
• was nicht Fachsprache ist, ist Gemeinsprache
• der Kernbereich der Sprache, an dem alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft teilhaben
Interkulturelle Fachkommunikation
• facheigene Aspekte
• interdisziplinäre Aspekte
• interkulturelle Aspekte (Einstellungen, etc.)
Aspekte des Textverstehens und der Textproduktion für Muttersprache und Zielsprache verbinden, mit anderen Kulturen verbinden können.
Auszug aus Handbuch Translation: Fachsprachenforschung
1. Entwicklung und Ãbersetzungsrelevanz
Die Beschäftigung mit Fachsprachen reicht in Wissenschaft und Praxis weit zurück, vom Sammeln handwerklich-technischer Fachwörter über die Erstellung von Glossaren und Wörterbüchern bis zur Auseinandersetzung mit zentralen Grundbegriffen im Umkreis von "Fach" und "Fachlichkeit", etwa bei der Herausbildung deutscher wissenschaftlicher Fachsprachen (vgl. Menzel 1996f). Ein nachhaltiges öffentliches Interesse an der Funktion und Vielfalt der Fachkommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis ist allerdings eine neuere Erscheinung,. die mit der funktionalstilistischen Sprachbetrachtung ("Prager Schule'") und dem damit verknüpften Aufkommen der so genannten Wirtschaftslinguistik in den 30er Jahren in Verbindung zu bringen ist (siehe z.B. Fluck 1996:12f.). Bereits hier erweist sich Fachsprachenforschung - wie überwiegend heute noch - als (Teil-)Gebiet einer "Angewandten Linguistik'", die - theoriegeleitet - auf konkrete Anwendungsmöglichkeiten und praktische Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse abzielt, z.B. im Bereich fachbezogener Fremdsprachenausbildung.
Ãberlegungen für eine fachtextspezifische Translation wurden zwar zuerst von Praktikern angestellt (z.B. Jumpelt 1961) doch haben Ãbersetzungswissenschaft und -praxis die Ergebnisse und Erkenntnisse der Fachsprachenforschung dann gerne als Basisdaten verwendet und in eigene Konzepte einer spezifischen Fachübersetzung integriert (z.B. Spitzbardt 1972, Wilss 1979, Arntz/Picht 1995, Bachmann 1992, Wright/Wright 1993, Rouleau 1994). Aufgrund der Globalisierung von Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Gesellschaft ist die Beschäftigung mit Fachsprache und Fachübersetzen inzwischen zum Dauerthema geworden, das auf keiner Konferenz zur Theorie und Praxis der Translation fehlt (z.B. bei der VI. Leipziger Konferenz zu Grundfragen der Ãbersetzungswissenschaft 1996 mit Themen wie Translation of Fiction vs. Translation of Factual Texts, Die Fachlichkeit von Texten als Ãbersetzungsproblem, Makrostruktur deutscher und französischer Patentschriften oder der immer wieder diskutierten Frage nach dem
Verhältnis von Sach- und Sprachkompetenz Should u (Euro)translator be a philologist?).
Mit der Entwicklung der Fachsprachenforschung vom "Terminus zum Text" stehen dabei heute interdisziplinäre Ansätze sowie textanalytische (textsorten- und diskursbezogene) und stilistisch-pragmatische, interkulturelle Aspekte der Fachkommunikation im Vordergrund, die bei der Ausgangs- und Zieltextanalyse fachsprachlichen Ãbersetzens von Nutzen sein können (siehe z.B. Hoffmann 1989, Kalverkämper/Baumann 1996). Der für die Fachübersetzung äuÃerst wichtige Bereich fachsprachlicher Lexikographie (vgl. z.B. Schaeder/Bergenholtz 1994, Nielsen 1994) wird dagegen zunehmend - entsprechend der mit dem Namen von Eugen Wüster verknüpften Herausbildung einer internationalen Terminologie- und Dokumentationswissenschaft - zumeist im Rahmen separater Veranstaltungen bzw. Veröffentlichungen zur Terminologieforschung, Terminologiepraxis und Terminologieausbildung behandelt (siehe dazu z.B. Hohnhold 1990, Picht 1993, Budin 1995).
Eine eigene Theorie des Fachübersetzens, die linguistische Aspekte mit jeweils facheigenen, innerdisziplinären und innerkulturellen Aspekten des Textverstehens und der (mutter- wie fremdsprachigen) Textproduktion verknüpfen müsste, steht jedoch noch aus. Diese Situation entspricht indes dem Wesen einer ausgearbeiteten unfassenden Fachsprachentheorie, die bisher nur ansatzweise theroriegeleitete Themenpunkte zu eingehender Diskussion des Verhältnisses von fachlichem Denken, Fachwissen, Fachinformationsstruktur und Fachkommunikation hervorgebracht hat.
2. Funktionale Sprachverwendung und ihre Beschreibung
Durch ihren Forschungsgegenstand ,,(Sach- )Fach und Sprache" ist Fachsprachenlinguistik notwendigerweise auf interdisziplinäre Zusammenarbeit sowohl mit Nachbardisziplinen wie Soziolinguistik oder Lexikographie als auch mit den jeweiligen Sachfächern angewiesen, da - wie bei der Translation auch - nur aus einer (zumindest relativen) Kenntnis des Untersuchungsgegenstands heraus zutreffende Beschreibungs- und Erklärungsmöglichkeiten bestehen Standen zunächst - im Zusammenhang mit Versuchen einer definitorischen Abgrenzung von Fach- und Gemeinsprache -statistische und kontrastive (intra- und interlinguale) Analysen im lexiko-syntaktischen Bereich im Vordergrund des Forschungsinteresses, so hat sich seit der mit anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen vollzogenen "kommunikativ-pragmatischen Wende" seit den 70er Jahren das Forschungsinteresse auf die funktionsbezogene Vorwendung der "Sprache im Fach" allgemein verlagert, die Definitionsfrage verlor dadurch an Bedeutung. Mit der Grobeinteilung in fachinnere, innerfachliche und fachexterne Texte hat auch die früher häufiger
diskutierte Frage der Binnendifferenzierung von Fachkommunikation eine weithin akzeptierte und praktikable Lösung gefunden (Fluck 1996:193ff., 233ff.). Denn es geht dabei immer um jene primär funktionsbestimmte Sprach- bzw. Textvariante, die sich in sach-, fach- und berufsbezogenen neu Verständigungs- und Vermittlungssituationen und spezifisch ausgebildeten Kommunikationsweisen beim Zugriff auf und bei der Darstellung von Fachinformation sowie beim Wissenstransfer manifestiert
SchlieÃlich hat sich die Fachsprachenforschung wie die Translationswissenschaft auch die Einsicht zu eigen gemacht, dass nicht das Wort oder der Satz, sondern der Text originäres Kommunikationsmittel sei (vgl. z.B. Kalverkämper 1987, Hoffmann 1988). In der Folge führte dieser Richtungswechsel zu einer ,Fachtextlinguistik', die inzwischen zahlreiche übersetzungsrelevante Analysen und Beschreibungen von Fachtextsorten (vgl. Arntz 1988) sowie mit dem Einbezug diskursanalytischer Methoden auch von mündlicher und institutionsbezogener Fachkommunikation (z.B. Kommunikation vor Gericht) geliefert hat.
Einzelergebnisse dieser neueren Fachsprachenforschung finden sich in zahlreichen Dissertationen (z.B. Oldenburg 1992, Lüschow 1992), Monographien (wie z.B. Gläser 1990, Gerzymisch-Arbogast 1996) und Sammelbänden (z.B. Schröder 1991, Ehlich et al 1994). AuÃerdem entstanden mehrere fachsprachenlinguistische Publikationsreihen wie Forum für Fachsprachen-Forschung (1985ff), Leipziger Fachsprachen Studien (1990ff) oder Hamburger Arbeiten zur Fachsprachenforschung (1992ff). Dazu wurden Zeitschriften begründet wie Fachsprache (Wien 1979ff), ESP [J] (English for Specific Purposes. An international Journal) (New York etc. 1980ff) oder Nordisk tidsskriftfor fagsprog og terminologi (Frederiksberg etc. 1983ff.), die den aktuellen Forschungsstand widerspiegeln.
Die Summe aus den inzwischen vorhandenen Erkenntnissen und Einzelergebnissen will der geplante Doppelband Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft (Hoffmann et al.: ca. 1998) ziehen, die Studienbibliographie Fachsprache(n) und Fachkommunikation wird dagegen eine kondensierte, systematische und neuere Auswahl an Sekundärliteratur enthalten (Fluck/Hoberg 1998). Dass Fachsprachenforschung, versehen mit dem Kürzel LSP (Languages for Specific Purposes), seit Jahren eine internationale wissenschaftliche ,Bewegung' ist, sei hier noch beispielhaft mit dem Hinweis unterstrichen auf das alle zwei Jahre stattfindende Europäische LSP- Symposium (1/1977 Wien, 11/1997 Kopenhagen) und die mit ihnen verbundenen Publikationen (zuletzt Budin 1996) sowie auf einige Gesamtdarstellungen weiterer europäischer Fachsprachen (z.B. Sager et al. 1980, Kocourek 1991, Robinson 1991, Nordman 1992).
3. Aktuelle fachsprachliche Themen und Tendenzen
Wenngleich die Fachsprachenforschung dem Ãbersetzer/Dolmetscher für seine jeweils konkreten textbezogenen Probleme nicht immer eine direkte Hilfe anbieten kann, so hat sie doch für die drei Sprachebenen Wort, Satz und Text eine Vielzahl an grundlegenden Daten und Analysen zur Spezifik, zur Struktur und zum Gebrauch von Fachsprachen anzubieten. Damit vermag sie zumindest nutzbringende allgemeine Hinweise und Orientierungen zu geben, wie situations- und adressatenbezogene Probleme beim Umgang mit Fachtexten und Fachkommunikation beschaffen und möglicherweise auch translatorisch anzugehen und zu lösen sind (z.B. Schmitt 1998).
Neue Perspektiven gewinnt die Fachsprachenlinguistik durch den zunehmenden Einsatz von Multimedia, z.B. im Hinblick auf die Darstellung und Aktualisierung der Fachlexik in elektronischen Wörterbüchern und auf den Einsatz von Terminologiewerkzeugen (z.B. Dokumentationen von Synonymierelationen, fachliche Hintergrundinformationen, Software zur teilautomatischen Ãbersetzung u.a.) (vgl. Freibott/Grewe 1995). Ãbersetzungsrelevant ist auch die Erstellung von fachsprachlichen Textcorpora, die u.a. neue Möglichkeiten der semantischen Analyse von Kollokationen durch repräsentativere Datenmengen eröffnen. Mit der Entwicklung und Bereitstellung fachsprachlicher Textbausteine in Datenbanken lassen sich für den Ãbersetzer zeitraubende Arbeiten ersparen und Routineübersetzungen vereinfachen (siehe dazu z.B. Göpferich 1995).
Aktuell ist auch die Hinwendung zu semiotischen und kognitionspsychologischen Fragen des Textverstehens und der Textverständlichkeit in der Fachkommunikation (z.B. Schüttler 1994), die eng mit den übersetzungsrelevanten Fragen nach dem Schwierigkeitsgrad von Fachtexten und Fachtextsorten verbunden ist.
Die Komplexität von Fachsprachen hat schon immer ein auch komplexes Herangehen an Fachtexte und Fachkommunikation erfordert, also interdisziplinär orientierte, mehrdimensionale und integrative Analyse- und Beschreibungsverfahren. Durch die zunehmende Verzweigung der Fachsprachenforschung nut Fach- und Nachbardisziplinen wurden diese in den letzten Jahren durch den Einbezug diskurs- analytischer Methoden erweitert. Dadurch kamen u.a. fachkommunikative Interaktionsformen und Handlungsmuster in den Blick und eine Beschäftigung mit dem Verhältnis von Interaktionswissen und interaktiven, zumeist unter bestimmten institutionellen Rahmenbedingungen ausgeprägten Strategien (z.B. Löning/ Rehbein 1990, BaÃler 1996j Gleichzeitig wurde damit der Objektbereich mündlicher Kommunikation in Fach und Beruf neu akzentuiert (vgl. Brünner 1993) der in der Forschung - aufgrund der besonderen Schwierigkeiten bei der Datenerhebung, Transkription und der Entwicklung ganzheitlicher linguistischer Beschreibungsmodelle - bisher weitgehend vernachlässigt wurde. SchlieÃlich hat sich einhergehend mit dem allgemeineren und neubelebten wissenschaftlichen Interesse am Verhältnis von Sprache und Kultur eine verstärkte Beschäftigung mit kulturgebundenen Spezifika in der Fachkommunikation ergeben, etwa im kulturkontrastiven Vergleich von Textsorten und Sprachhandlungs- bzw. Interaktionsmustern, insbesondere auch im mündlichen Bereich
Im Vordergrund steht dabei zur Zeit die Wirtschaftskommunikation, zum einen aufgrund ihrer zunehmenden internationalen Verflechtung und der absatzbedingten Notwendigkeit kulturspezifischer Diversifikation der Angebote und Produkte, zum anderen aufgrund der Tatsache, dass Wirtschaften immer zugleich Handeln in seiner vielfältigsten Bedeutung, d.h. auch sprachliches Handeln, umfasst, von der Produktkonzeption und Herstellung über das Angebot bis zum Verkauf (vgl. z.B. Reuter et al. 1989). Aber auch im technischen Bereich gibt es Kulturspezifika, die das Interesse der Fachsprachenforschung verdienen und bei der Translation beachtet werden müssen, z.H. die unterschiedlichen Textkonventionen bei Werkstattanweisungen oder bei der Gestaltung von so genannten (medizinischen) Beipackzetteln (vgl. dazu u.a. Schmitt 1986, Clyne 1993, Fleischmann 1994, Hansen 1996). In diesem Zusammenhang ist noch die Ausarbeitung von Konzepten, Trainingsprogrammen und Schreibhilfen zur Darstellung und Vermittlung vorwiegend technischer Sachverhalte zu nennen, wie sie etwa in den Sammelbänden Sprache und Technik verständliches Gestalten technischer Fachtexte (Hecker et al. 1990) oder Quality of Technical Documentation (Steehouder et al. 1994) vorgeschlagen werden.
Voraussetzungen für die translatorische Kompetenz:
• Sprachkompetenz
• Textkompetenz
• Fachkenntnisse
• Kulturkenntnisse
Heinz Göhring
• Kapazität auf dem Gebiet der interkulturellen Kommunikation
• 1952 in den USA
• Anthropologen Al. Kroeber und Clyde Kluckhohn haben ein Buch geschrieben und 164 verschiedene Kulturdefinitionen gesammelt
o Schlüsselwörter:
ï§ menschliches Verhalten
ï§ Manifestationen gesellschaftlichen Lebens (mit Konventionen)
ï§ Gewohnheiten
• Sprache ist Teil einer Kultur
• Text ist der verbalisierte Teil einer Soziokultur
Kultur (nach Göhring)
Kultur ist all das, was man wissen, beherrschen und empfinden können muss um beurteilen zu können, wo sich Angehörige eines Umfelds in ihren verschiedenen Rollen erwartungskonform oder abweichend verhalten und um sich selbst in der betreffenden Gesellschaft erwartungskonform verhalten zu können, sofern man dies will und nicht etwa bereit ist, die jeweils aus erwartungswidrigem Verhalten entstehenden Konsequenzen zu tragen.
Kultur
• eher erlernter Wissensschatz
• gepflegter Umgang mit Menschen und Dingen
• von lateinisch cultura – bebauen, Pflege
• gepflegter Umgang nach kulturspezifischen Konventionen und Normen, wobei Interaktion herausgestellt wird
• Teilkulturen:
o Hochkultur
o Esskultur
o SpaÃkultur
o Streit- und Gesprächskultur
o Translationskultur
o politische Kultur
3 Komponenten einer Kultur
1. Artifacts (Artefakte)
auch in der Wohnkultur
Geld
2. concepts (Wertesystem)
(Bsp.: Geld)
Stellenwert des Geldes
3. behaviors (Verhaltensmuster)
Geld ausgeben, leihen, sparen
Entkulturation
Samuel Huntingdon: Interdiscipline or clash of worlds
Ethnozentrismus / ethnozentrisch: zentrale Perspektive, von der aus andere Kulturen betrachtet werden; beinhaltet oft Einseitigkeit in Bezug auf Wertesysteme, Weltanschauungen
Auszug aus Handbuch Translation: Interkulturelle Kommunikation
Ãbersetzer und Dolmetscher stehen vor der Aufgabe, gleichzeitig zwischen Sprachen und zwischen Kulturen zu vermitteln - sie sind somit interkulturelle Kommunikatoren par excellence. Das interdisziplinäre Forschungsgebiet interkulturelle Kommunikation ist für sie daher von offensichtlicher Bedeutung.
Neben Kulturanthropologie (bzw. Ethnologie), Soziologie, Politologie, Psychologie (insbesondere Sozialpsychologie), Linguistik, Kommunikationswissenschaft und den Literaturwissenschaften gehören etwa auch Geschichte, Religionswissenschaft und Philosophie zum Katalog der Disziplinen, deren Methoden und Ergebnisse in die Erforschung interkultureller Kommunikationsvorgänge eingegangen sind.
Entstanden ist das Arbeitsgebiet Ende der 60er Jahre in den Vereinigten Staaten -interethnische Spannungen im Lande selbst und die wachsende Einsicht in die Bedeutung kultureller Faktoren für die Interessen der global agierenden Hegemonialmacht USA lieÃen Forschungsgelder reichlich flieÃen.
Schon während des Zweiten Weltkriegs waren die Untersuchungen der Forschungsgruppe um Ruth Benedict über Japan aus strategischen Ãberlegungen massiv gefördert worden. Die Ergebnisse dieser anthropology at a distance, niedergelegt in Benedicts klassischem Werk The Chrysanthemum and the Sword (1946), können als früher Beitrag zum Studium interkultureller Kommunikation gelten.
Schwerpunkt der Forschung über interkulturelle Kommunikation war und ist die Untersuchung all dessen, was abläuft, wenn Personen unterschiedlicher Kulturzugehörigkeit miteinander umgehen. Auch wenn persönliche Interaktionen zwischen Angehörigen gegenwärtiger Kulturen nach wie vor im Vordergrund des Interesses stehen, verbreitet sich zunehmend die Einsicht, dass auch die Interpretation von Texten und anderen Hinterlassenschaften aus früheren Epochen (der eigenen Kultur und fremder Kulturen) interkulturelle Kommunikation darstellt oder vermittelt. Wie die Fachbezeichnung interkulturelle Archäologie erkennen lässt, sind interkulturelle Kontakte fast so alt wie die Menschheit selbst - nur dass ihre Häufigkeit seit der Entwicklung des modernen Transportwesens und der modernen Kommunikationstechnologien exponentiell steigt.
Von den Komponenten, die in der Bezeichnung interkulturelle Kommunikation stecken, ist Kultur die vieldeutigste. Es wäre ein leichtes, allein aus dem Bereich der Kulturanthropologie für jeden Tag des Jahres eine andere Kulturdefinition vorzustellen - bereits im Jahr 1952 legten Kroeber und Kluckhohn (1952) eine über 400 Seiten umfassende Sammlung von Kulturdefinitionen vor,
Bei der Verwendung des Ausdrucks Kultur sollte man sich jeweils einen Indikator hinzudenken. "Kultur" kann auf recht unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelt sein - etwa Menschheitskultur, westliche Kultur, französische Kultur, bretonische Kultur, Kultur eines Dorfes, eines Berufsstands, einer Familie oder eines Individuums (Idiokultur). In vielen Fällen ist es durchaus sinnvoll, interkulturelle Kommunikation auch unterhalb der nationalen Ebene zu analysieren. Für Ãbersetzer und Dolmetscher ist dabei all das praxisrelevant, was an gruppenspezifischen Unterschieden des Verhaltens und Bewertens sowohl innerhalb ihrer Ausgangskultur als auch in ihren Zielkulturen für interkulturelle Kommunikationsvorgänge Bedeutung erhalten kann. Daneben gilt es, auch rein individuelle Verhaltensweisen als solche erkennen zu können - als eben nicht gruppenspezifisch.
In Anlehnung an Goodenough (1964.36) lässt sich Kultur für die Zwecke des Ãbersetzers und Dolmetschers definieren als all das, was dieser im Hinblick auf seine Ausgangsgesellschaft und auf seine Zielgesellschaften wissen und empfinden können muss,
(1) damit er beurteilen kann, wo sich Personen in ihren verschiedenen Rollen so verhalten, wie man es von ihnen erwartet, und wo sie von den gesellschaftlichen Erwartungen ab- weichen;
(2) damit er sich in den gesellschaftlichen Rollen, die ihm - z.B. von seinem Alter und Geschlecht her - offen stehen, erwartungskonform verhalten kann, sofern er dies will und sich nicht etwa dazu entscheidet, aus der Rolle auszubrechen und die daraus erwach- senden Konsequenzen in Kauf zu nehmen;
(3) damit er die natürliche und die vorn Menschen geprägte oder geschaffene Welt (zu letzterer gehören natürlich auch die Texte) jeweils wie ein Einheimischer wahrnehmen kann. (Vgl. Göhring 1980:71-77; s. Art. 40, 101)
Eine solche Definition soll in ihrer idealtypischen Ãbersteigerung der gedanklichen Klärung dienen - gänzlich erfüllen kann sie niemand, denn wer beherrscht allein schon die gesamten Wissensbestände seiner AusgangsgeseIlschaft, geschweige denn die seiner Zielgesellschaften ?
Zudem gibt es immer mehr Menschen, für die sich die Grenze zwischen Ausgangs- und Zielgesellschaften verwischt und die in ihr individuelles Verhaltensrepertoire, in ihre Idiokultur, Elemente aus zwei oder mehr kulturellen Systemen integrieren (vgl. Adler 1976). Hierzu gehören etwa Migranten der zweiten bzw. dritten Generation und Personen, die in interkulturellen Ehen oder Partnerschaften leben, samt ihren Kindern, in geringerem Umfang aber auch viele Angehörige internationaler Organisationen, Behörden und Verbände sowie zahlreiche Ãbersetzer und Dolmetscher. Mit anderen Worten: für eine steigende Zahl von bi- und plurikulturellen Individuen ist eine klare Trennung von Ausgangs- und Zielkulturen schlechterdings nicht mehr möglich. Es dient also nur der Einfachheit der Darlegung, wenn nach- folgend weiterhin von der Ausgangskultur und den Zielkulturen von Translatoren die Rede ist.
Für das Verständnis der Komponente Kommunikation in der Fachbezeichnung interkulturelle Kommunikation ist Watzlawicks Aussage grundlegend, man könne nicht nicht kommunizieren (u.a. in Watzlawick et al. 1972:51). Alles an uns kommuniziert, nicht nur, was wir wann wie zu wem in welcher Situation sagen oder nicht sagen, sondern auch wie wir aussehen, wie wir blicken, uns kleiden, halten, bewegen, welche Frisur wir tragen, wie wir riechen - ganz allgemein: wie wir sind und wie wir uns verhalten. Zur Kommunikation gehört aber auch die andere Seite, nämlich das, was beim Empfänger ankommt und von ihm jeweils in Ãbereinstimmung mit seinen kulturellen Gewohnheiten interpretiert wird. Interkulturelle Kommunikation wäre also das bewusste und unbewusste Aussenden und Empfangen von Botschaften über kulturelle Grenzen hinweg.
Zielkulturen sind für den Ãbersetzer und Dolmetscher nicht nur die Kulturen der Gruppen, mit deren Sprachen er arbeitet. Wenn er es als Translator mit schriftlichen oder mündlichen Texten zu tun hat, die in einer internationalen Verkehrssprache verfasst sind, wird es sich immer wieder als notwendig erweisen, die Ausgangskultur des Autors oder Sprechers in die Interpretation mit einzubeziehen. Wer etwa Englisch, Russisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Arabisch oder Deutsch zu seinen Arbeitssprachen zählt, kann bei seiner Tätigkeit als interkultureller Mittler mit einer z. T. erklecklichen Zahl von Kulturell in Kontakt kommen - man denke etwa nur an die Rolle des Englischen als internationale Lingua franca (vgl. Garcia/Otheguy 1989). Auf einer Konferenz mit Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch als Arbeitssprachen muss der Konferenzdolmetscher oder -übersetzer u. U. ÃuÃerungen von Russen, Chinesen, Japanern und Finnen aus deren Englisch übertragen. AuÃer den muttersprachlichen Interferenzen sind dabei auch alle möglichen kulturellen Interferenzen zu bewältigen. Hier können sich z.B. nicht nur kulturspezifische Einstellungen zum Schreiben, Reden und Schweigen ganz allgemein bemerkbar machen (vgl. z.B. für USA und Japan Atanasov / Göhring 1991), sondern auch Denk-, Argumentations- und Rhetorikmuster (vgl. Wedge 1965, der systematisch die Erfahrungen von Begleitdolmetschern des State Department ausgewertet hat). Potentielle Wirkfaktoren sind ferner Einstellungen zu Alter, Geschlecht, Hierarchie, Formalität und Höflichkeit, Regelungen von Nähe und Distanz, die sich u.a. in Formen der Anrede ausdrücken, sowie historische Erfahrungen, Weltanschauungen und religiöse Traditionen (erwähnt sei hier die Invokation Allahs als Redeeröffnung vieler muslimischer Sprecher).
Eigentlich müsste der Translator mit allen Kulturen vertraut sein, die im Verlaufe seiner Arbeit für ihn bedeutsam werden können. Andererseits wäre es absurd, von ihm zu fordern, er solle (zusätzlich zu all dem anderen, was er sowieso schon beherrschen muss) auch noch das Wissen eines Kulturanthropologen und eines auf Kulturvergleich spezialisierten Soziologen verfügbar halten. Es käme ihm jedoch zustatten, wenn er in sich die auf die Entdeckung von Kulturmustern geeichte Neugier, Sensibilität und Sichtweise des Kulturanthropologen - kurz: die kulturanthropologische Perspektive - entwickeln könnte.
Insbesondere während der ethnographischen Feldforschung in einer fremdkulturellen Gemeinschaft sieht sich der Kulturanthropologe mit einer Fülle ihm zunächst unvertrauter Verhaltensweisen konfrontiert, die er schritt- weise zu verstehen bemüht ist. So fragt er sich beispielsweise: Entspricht die BegrüÃung, die ich gerade miterlebt habe, einem Verhaltensmuster, das im ganzen Lande, ja vielleicht darüber hinaus Gültigkeit hat? Oder folgt es einem Muster, das etwa nur in einem bestimmten Teil des Landes gilt, in einer spezifischen Situation, in einer bestimmten ethnischen Gruppe, gesellschaftlichen Schicht, nur bei Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen oder beruflichen Milieu, einer bestimmten religiösen, weltanschaulichen oder ideologischen Gemeinschaft, nur zwischen Männern und Frauen, nur bei einem Altersunterschied von mehr als 20 Jahren, nur bei einem erheblichen Machtgefälle? Oder hat sich eine der beiden sich begrüÃenden Personen gar in einer von den einschlägigen Erwartungen abweichenden Weise verhalten? Systematische Beobachtungen und die Befragung von Gewährspersonen erlauben es in der Regel, solche Fragen allmählich zu beantworten. Dabei ist wichtig, nicht vorschnell zu verallgemeinern, sondern den vorläufigen Charakter der Schlussfolgerungen (in Form von Voraus- Urteilen, nicht Vorurteilen!) im Auge zu behalten.
Beim Herausarbeiten hypothetischer kultureller RegelmäÃigkeiten bedarf es eines hohen MaÃes an Umsicht und Offenheit sowie der Bereitschaft, das Verhalten in der eigenen Gesellschaft und das eigene persönliche Verhalten ebenfalls auf seine kulturellen Hintergründe hin zu analysieren.
Ein Translator, der das Verfahren der Feldforschung für seine Zwecke adaptieren möchte -und er hat bei seinen vielfältigen interkulturellen Kontakten zahlreiche Gelegenheiten dazu -, wird bei der Suche nach vertieftem interkulturellem Verständnis gern und mit Entdeckerfreude alle möglichen Informationsquellen nutzen Radio, Fernsehen, Internet, Zeitungen und Zeitschriften sowie die sog. schöne Literatur (zur literary anthropology vgl. Poyatos 1988).
Von besonderem Interesse für Translatoren ist natürlich die Fachliteratur über interkulturelle Kommunikation. Neben zwei klassischen Publikationen (Condon/Yousef 1975 und Samovar/Porter 1976) sei Maletzkes leicht verständliche und mit viel Sachkenntnis geschriebene Einführung (1996) erwähnt, die sich auch als bibliographische Fundgrube bewährt. Das International Journal of Intercultural Relations schlieÃlich bringt regelmäÃig einschlägige Artikel zur Interkulturellen Kommunikation und zum interkulturellen Vergleich (1997 vol. 21). Wichtige Informationen erhält man ferner als Mitglied der SIETAR ( Society for Intercultural Education. Training and Research), eines Fachverbandes von Praktikern und Forschern auf dem Gebiet der Interkulturellen Kommunikation, der sich auch an Translatoren wendet.
Skopostheorie
Auszug aus Handbuch Translation: Skopostheorie
Die Skopostheorie (Vermeer 1978) ist eine allgemeine Theorie der Translation, die durch einen funktionsorientierten Ansatz die Grundlage für ein neues Paradigma in der Translationswissenschaft bildet. Von einem handlungstheoretischen Rahmen ausgehend, legt sie den Schwerpunkt auf das Ziel des translatorischen Handelns (s. Art. 29 und Holz-Mänttäri 1984) und auf den Translator als Experten, der für ein optimales Erreichen dieses Ziels verantwortlich ist.
1. Das Ziel als oberstes Primat der Translation: der Skoposbegriff
Wie jedes Handeln folgt das translatorische Handeln einem Ziel. Diese Zielgerichtetheit kommt im Begriff des "Skopos" als dem obersten Primat der Translation zum Ausdruck. Somit steht nicht der Ausgangstext (AT) als solcher, sondern das intendierte Ziel am Beginn des Translationsprozesses. Die Gestaltung des Translationsvorgangs durch den Translator und die Form des Produkts (Translat) werden demnach vom Skopos der Translation bestimmt. Der Skoposbegriff kann sich sowohl auf den Translationsprozess als auch auf das Translat beziehen. Der Translationsskopos bezeichnet dabei das vom Translator intendierte Ziel, während der Translatskopos für die Funktion des Translats steht, wie sie in der Zielkultur rezipiert wird. Wichtig ist hierbei, dass die vom Translator intendierte prospektive Funktion mit der Funktion, die das Translat in der Zielkultur erfüllt, nur im Idealfall übereinstimmt. Die Faktoren zu erkennen, die in der Zielkultur zu einem optimalen Funktionieren des Zieltextes CZT) beitragen, d.h. Intention und Funktion näher bringen, ist Voraussetzung für eine professionelle Tätigkeit als Ãbersetzer / Dolmetscher. "Funktionieren" sollte hier auch unter dem Aspekt des jeweiligen Skopos der Translation verstanden werden
Beispiel. Ein Translator nimmt den Auftrag an, ein Gedicht für die Werbebranche zu übersetzen. Das Ziel ist es, den Konsum eines Produktes auf dem Markt zu erhöhen. Der Translator erstellt ein Translat, das in der Literaturszene groÃen Anklang findet als Werbetext die Rezipienten jedoch nicht anspricht. Das Translat "funktioniert" nicht. Es erfüllt eine andere Funktion als die vorgesehene. Ein anderer Translator produziert mit demselben Ziel ein Translat, das in der Literaturszene nicht als Gedicht betrachtet wird, aber zum Verkauf des Produkts beiträgt. Das Translat funktioniert; es erfüllt die vorgesehene Funktion.
Wichtig ist hier, dass sich Ãberlegungen zur Ãbereinstimmung von Intention und Funktion und zur "Optimalität" stets prospektiv auf die Zielkultur und den Skopos beziehen. Fragen, die retrospektiv auf den AT gerichtet sind, wie beispielsweise solche, die Autorintention oder Funktion des AT in der Ausgangskultur betreffen, sind zunächst irrelevant (s unten). Wie auch aus dem Beispiel hervorgeht, stellt die Skopostheorie keine Forderung nach Funktionskonstanz. Sie vermeidet darüber hinaus die Verabsolutierung eines bestimmten Translationsmodus' durch ein Festlegen der Translationsstrategie. Die Entscheidung für eine bestimmte Translationsstrategie ist vom Translationsskopos abhängig. Sowohl das Aufrechterhalten von Funktionskonstanz als auch das Verfolgen einer bestimmten Translationsstrategie kann durchaus Skopos einer Translation sein
Beispiel: Ein Translator möchte durch die Ãbersetzung eines Romans fremde Elemente in die Literatur der Zielkultur einführen. Er übersetzt idiomatische Wendungen wörtlich, lenkt die Aufmerksamkeit der Leser auf sprachliche Eigenartigkeit Ein anderer Ãbersetzer ist von der philosophischen Tragweite des Romans beeindruckt; sein Skopos ist es, das Gedankengut der Zielgruppe näher zu bringen. Er verfolgt eine Strategie, von der er meint, dass sie am besten zu einem verständlichen Text führt, und vermeidet Fremdartigkeiten in seiner Sprache. Ein dritter Translator macht sich Gedanken über die Möglichkeiten des Ãbersetzens. Er möchte versuchen, Syntax und Anzahl der Wörter eines AT im Translat beizubehalten, und übersetzt den Roman unter diesem Aspekt. Bei ihm bezieht sich der Skopos auf die Translationsstrategie selbst.
Da die Skopostheorie sowohl im Hinblick auf mögliche Skopoi als auch bezüglich verschiedener Translationsstrategien eine verabsolutierende Haltung vermeidet, ermöglicht sie einerseits die Erklärung der Vielfalt von Translationsphänomenen. Sie bietet ein neues explikativ-deskriptives Instrumentarium, beispielsweise für historische Arbeiten (vgl. Vermeer 1992) und für die Ãbersetzungskritik (vgl. Ammann 1990; s Art. 108) Andererseits ist sie als praxisorientierter Ansatz zu verstehen, der Aussagen für eine möglichst optimale skoposadäquate Bewältigung des Translationsprozesses enthält. Der Skoposbegriff kann demzufolge sowohl deskriptive als auch präskriptive Eigenschaft haben.
2. Der Translator als Experte interkultureller Kommunikation
Voraussetzung für eine Translation ist in der Regel der Bedarf an interkultureller Kommunikation (s Art. 30), mit dem sich ein Auftraggeber an einen Translator wendet Aufgabe des Translators ist es. die gewünschte Kommunikation zu ermöglichen. Als Handelnder muss er auf jeder Ebene des Prozesses Entscheidungen treffen Nehme ich den Auftrag an? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wenn nein, warum nicht'! Welche Funktion soll das Translat erfüllen, und für wen erstelle ich es? Wie gehe ich vor? Der Auftraggeber hat bestimmte Vorstellungen über die Funktion, die das Translat erfüllen soll, d.h. er hat einen Skopos, z.B. "das Produkt soll sich gut verkaufen". Er gibt dem Translator einen ausgangssprachlichen Text als Vorlage. Der Translator entscheidet beispielsweise, dass der Werbeslogan im AT aus kultur- spezifischen Gründen im ZT nicht beibehalten werden kann. Die Skopostheorie besagt, dass er gemäà dem in der Hierarchie höher stehenden Skopos eine funktionsadäquate Lösung finden soll, die eventuell mit dem sprachlichen Material im AT wenig zu tun hat. Als Teil der Firmenpolitik besteht die Holding jedoch auf einer Ãbertragung des Slogans auf sprachlicher Ebene. Im Rahmen der Skopostheorie gehört es zur Aufgabe des Translators, den Auftraggeber über seine Bedenken zu informieren und ihn über den absehbaren Misserfolg eines solchen Vorhabens aufzuklären. Wenn es nicht zu einem Konsens mit dem Auftraggeber kommt, kann der Translator den Auftrag ablehnen. Entscheidungen, die den Konsens mit dem Auftraggeber betreffen, sind Teil der translatorischen Freiheit des Ãbersetzers. Auf Grund seiner Kompetenz und auch seiner individuellen Einstellung ist es ihm überlassen, wie er sich fallspezifisch entscheidet. Seine Entscheidung muss er sich selbst (als Experte) gegenüber verantworten können.
Das professionelle Umgehen mit der Entscheidungsfreiheit setzt Entscheidungskompetenz voraus. Die Skopostheorie fordert die Erweiterung dieser Kompetenz durch Bewusstmachung des komplexen Handlungsrahmens, in dem sich der Translator bewegt: Er soll anhand eines AT mit anderen (sprachlichen) Mitteln einen neuen Text verfassen, der für andere Rezipienten bestimmt ist und unter anderen kulturellen Gegebenheiten funktionieren soll als der AT (s. Art. 29).
Es stimmt also nicht, dass Ãbersetzen und Dolmetschen einfachhin heiÃt, einen Text in eine andere Sprache zu übertragen [...] Dolmetscher und Ãbersetzer (Translatoren) sollten die (idio-, dia- und parakulturellen) Unterschiede im menschlichen Gesamtverhalten kennen und bei ihrer Tätigkeit (skoposadäquat) berücksichtigen. Sie sollten, so können wir kurz sagen, die "Kulturen" kennen, in denen Texte jeweils verfasst und rezipiert werden. (Vermeer 1996:27).
Auf der Grundlage dieser Kompetenz trägt der Translator die Verantwortung für ein skoposadäquates Handeln. Er ist in der Lage, auf Kultur-, Adressaten- und Situationsspezifik einzugehen, sich den Erwartungen der Zielkultur (oder einer Gruppe darin) gemäà zu verhalten oder auch gegen sie zu verstoÃen. Verstoà gegen Normen der Zielkultur (z.B. Zensuren) kann Skopos einer Translation sein (z.B. auf Grund einer politischen Ãberzeugung) und setzt Wissen über diese und die Sanktionen voraus, mit denen eventuell zu rechnen ist (z.B. Druckverbot, juristisches Verfahren). Die Freiheit des Translators beruht nicht auf einer willkürlichen, sondern durch den Skopos begründbaren bewussten Entscheidung. In diesem Zusammenhang sieht die Skopostheorie eine Skoposangabe durch den Translator vor, insbesondere bei nicht er- wartungskonformem Verhalten (beispielsweise bei einer Strategie, die nicht dem Verständnis vom Ãbersetzen in einer Gesellschaft entspricht).
3. Neue Wege in der Translationswissenschaft
Die Hervorhebung des kulturellen und historischen Kontexts, in dem sich der Translator befindet, und die Anerkennung seiner individuellen Bedingungen machen kultur-, situations-, und zeitunabhängige Aussagen in der Skopostheorie unmöglich. Vermeer geht von einem "relativen Relativismus" aus, der zu einem Bruch mit der Tradition führt und die Theorie anderen Ansätzen annähert, die eine ahistorische und verabsolutierende Begriffsbildung vermeiden, wie zum Beispiel die von Toury vertretene Descriptive Translation Studies (s Art. 25) und die dekonstruktivistische Orientierung Arrojos (s Art 26, vgl. Toury 1995;Arrojo 1994, 1997).
Die Bedeutung der kulturellhistorischen Bedingtheiten, die eine gemeinsame Eigenschaft dieser Ansätze ist, weist auf eine neue Richtung in der Translationswissenschaft hin (vgl. Ammann/Vermeer 1997:2). Diese wirkt sich auf verschiedenen Ebenen auf das Verständnis von Translation und die Rolle des Translators aus.
Sowohl als Rezipient (eines AT) als auch als Produzent (eines neuen Texts) ist der Translator mit seinen idiosynkratischen Eigenschaften Teil einer Gesellschaft und einer Gruppe darin Die gesellschaftliche und historische Eingebundenheit des Translators hat Einfluss auf seine Tätigkeit und formt das Produkt.
Im Zusammenhang damit wird beispielsweise der Glaube an eine textimmanente Bedeutung, die der Translator greifen und reproduzieren soll, verworfen. Die Anerkennung, dass "ein Text nicht ein für allemal und für alle ein und derselbe Text ist" und "dass auch der Rezipient zum Produzenten wird", ist ein Weg zur Freiheit und zur Möglichkeit der Kreativität des Translators (Vermeer 1996 39). Die "Befreiung des translatorischen Handeins aus der Zwangsjacke einer als naiv gegebenen Realität" (199610) führt zu einem neuen Selbstverständnis des Translators, dessen Verantwortung darin liegt, diese Freiheit zu nutzen. Für die Translationsdidaktik folgt daraus, dass die Bewusstmachung der Faktoren, die das translatorische Handeln beeinflussen, in den Mittelpunkt der Ausbildung tritt. Nicht das Erlernen vorgegebener Strategien, sondern die Aneignung einer kritischen und selbstbewussten Haltung. anhand derer Studierende ihre Translationsstrategien selbst bestimmen können, macht den Translator als Experten aus (vgl. hierzu auch Arrojo 1994:10).
Die neue Orientierung setzt somit "Kultur" an die Stelle von Sprache im engeren Sinn, eine zielgerichtete Haltung an die Stelle der Autorität des AT und Autors, Vielfalt der Möglichkeiten und Raum für Andersartigkeit an die Stelle von festgelegten Strategien des Ãbersetzens.
Grundzüge der Skopostheorie
• neues Paradigma in den 80ern
• eine allgemeine Theorie der Translation
• funktionsorientiert
• nicht linguistisch
• Grundlage der Skopostheorie war Buch von ReiÃ/Vermeer
• handlungsorientiert
• prospektiv – im Gegensatz zum linguistischen Ansatz, der bis damals vorherrschte, der auf den AT starrte und retrospektiv war
• Zweck ist die Dominante des Translats
o Translat wird von Skopos bedingt
Eine Translation ist eine Handlung, ein Translat ein Handlungsprodukt. (Früher war die Ãbersetzung die Umwandlung eines Textes, der eine Reihe von Wörtern und Sätzen war.)
Ziel des translatorischen Handelns: nicht mehr der AT an sich ist wichtig, sondern die Funktion der Ãbersetzung in der Zielkultur, wobei die Funktion im Auftrag festgelegt wird.
Es gibt keine „absolute Ãbersetzung“.
Funktionskonstanz: Funktion bleibt in der Ãbersetzung gleich (mehrsprachige
Gebrauchsanweisungen)
Funktionsveränderung: Gulliver’s Reisen
interlingual in E als Kinderbuch wie auch in der Ãbersetzungsfunktion
Voraussetzung für Translation: Bedarf an interkultureller Kommunikation.
Vermeer 1986: Translation habe ich irgendwo als ein Informationsangebot in einer Sprache z der Kultur Z definiert, das ein Informationsangebot in einer Sprache a der Kultur A funktionsgerecht (!) imitiert.
Das heiÃt ungefähr: Eine Translation ist nicht die Transkodierung von Wörtern oder Sätzen aus einer Sprache in die andere, sondern eine komplexe Handlung, in der jemand unter neuen funktionalen und kulturellen und sprachlichen Bedingungen in einer neuen Situation über einen Text (Ausgangssachverhalt) berichtet, indem er ihn auch formal möglichst nachahmt. (â Entthronung des Ausgangstexts)
„Den Ausgangstext“ gibt es nicht, sondern einen je spezifisch interpretierten Ausgangstext. (â Text erhält eine Funktion in der Rezeptsituation, und hat sie nicht von sich aus.)
Kulturkompetenz des Translators
Kulturkunde umfasst Wissen über Denkmuster, Wertorientierungen, Verhaltensmuster.
Translation = Sondersorte der interkulturellen Kommunikation zur Ãberwindung von Kulturbarrieren. (Sprachbarrieren sind eine Sondersorte von Kulturbarrieren)
Translator muss nicht nur zwei Sprachen beherrschen, sondern muss auch bikulturell sein und bikulturelle Kulturkompetenz (= Kompetenz zwischen den Kulturen) haben.
Kulturkompetenz bei Translator umfasst das Gesamtverhalten der Arbeitskulturen.
Der Translator muss einschätzen, wie Mitglieder der beiden Kulturen sich selbst im Verhältnis zur jeweils anderen Kultur sehen und welches Wissen sie über die andere Kultur haben. Kompetenz zwischen den Kulturen ist das Wissen des Translators über Selbst-, Fremd- und reflexive Selbstbilder der verschiedenen Arbeitskulturen im gegenseitigen Bezug aufeinander und auf die potenziellen Auswirkungen solcher Bilder auf die interkulturelle Situation.
Auszug aus Handbuch Translation: Die Rolle der Kulturkompetenz
1. Translation als interkulturelle Kommunikation
Fremdkulturwissen wurde in den herkömmlichen universitären Ãbersetzungs- und Dolmetschstudiengängen vornehmlich als Ergänzung fremdsprachlicher Kenntnisse verstanden und im Rahmen von Veranstaltungen zur Landeskunde vermittelt. Unterrichtsziel war dabei primär der Erwerb von Fakten- und Institutionenwissen über das Land, dessen Sprache die Studierenden gewählt hatten. Das heiÃt, im Vordergrund stand die Vermittlung von - vermeintlich statisc ,existenten' -Phänomenen ("Realien"), die in irgendeiner Weise als charakteristisch für das betreffende Land galten.
Diese didaktische Orientierung leitete sich bis in die jüngste Vergangenheit von einem sprachzentrierten Ãbersetzungs- und Dolmetschbegriff her, in dem "Kultur" lediglich als eine Art Hintergrundfolie Berücksichtigung fand, die je nach konkretem Ãbersetzungs- oder Dolmetschfall mehr oder weniger relevant für die Lösung einzelner (sprachlicher) Probleme erschien.
Im Gegensatz zu einer solchen Auffassung definieren neuere translationstheoretische Ãberlegungen Translation als kulturelle Transferhandlung und unterstreichen die Rolle des Translators als eines Kulturmittlers (In diesem Artikel wird einheitlich das generische Maskulinum verwendet). Ihre bisher umfassendste theoretische Begründung findet diese neue Schwerpunktsetzung in den allgemeintheoretisch angelegten Ansätzen der Skopostheorie (vgl. Vermeer 1983 et passim) und der Theorie über translatorisches Handeln (vgl. Holz- Mänttäri 1984 u. passim). (Zu näheren Angaben über die genannten theoretischen Ansätze vgl. die Artikel 28 und 29 in diesem Band.)
Nach Ansicht dieser "kultursensitiven" Theorieansätze lässt sich Translation als Sondersorte interkultureller Kommunikation definieren, d.h., als letztliches Ziel translatorischen HandeIns wird die Ãberwindung von Kulturbarrieren zu bestimmtem Zweck postuliert- Sprachbarrieren lassen sich dann als Sondersorte von Kulturbarrieren beschreiben.
Aus dieser konzeptuellen Fassung von "Translation" ergibt sich die Forderung nach "bikultureller" Kompetenz des Translators: Um funktionsgerechte Kommunikation zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Kulturgemeinschaften zu ermöglichen, muss der Translator sich in seiner eigenen wie in seinen fremden Arbeitskulturen auskennen. Eine intuitive Kulturkenntnis, wie sie z.B. ein bikulturell aufgewachsener native speaker besitzt, ist hierbei nicht ausreichend. Professionelles translatorisches Handeln erfordert eine zumindest potentiell bewusste Kulturkompetenz.
2. Zur Problematik interkultureller Kommunikation
Die Hypothese, dass nicht primär sprachliche Verständigungsschwierigkeiten, sondern vor allem kulturelle Unterschiede, das heiÃt unterschiedliche Denk- und Einstellungsmuster, Wertorientierungen und daraus resultierende Wahrnehmungs-, Interpretations- und Verhaltensweisen, die interkulturelle Kommunikation erschweren (können), wird von den Erkenntnissen der interkulturellen Kommunikationsforschung (lntercultural Communication Studies) gestützt (vgl. z.B. Bochner 1982). Diese in den frühen 70er Jahren in den USA als interdisziplinäres Fach entstandene Forschungsrichtung hat sich in Europa vor allem in den Teilbereichen interkulturelle Wirtschaftskommunikation (vgl. z.B. Müller 1991, Bolten 1993) und interkulturelle Managementforschung (vgl. Bergemann/ Sourisseaux 1992) zu einer einflussreichen Disziplin entwickelt.
Die interkulturelle Kommunikationsforschung hat aufgezeigt, dass Interaktanten in einer interkulturellen Kontaktsituation, sofern sie nicht bereits über ein umfassendes Fremdkulturwissen verfügen, die jeweilige fremde Kultur auf der Grundlage eigenkultureller Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster interpretieren. Ebenso wird das eigene aktive Verhalten an den in der eigenen Kultur geltenden Normen, Konventionen, Werten, Erfahrungen, Erwartungen etc. ausgerichtet. (Vgl. zu "Sozialisation" und "Kulturgebundenheit" z.B. Berger/ Luckmann 1989.) Das heiÃt, im (direkten oder indirekten, vgl. die Rezeption schriftlicher Texte) interkulturellen Kontakt wird bei nicht oder nur unzureichend vorhandenem Fremdkulturwissen zwangsläufig der eigenkulturelle Bezugsrahmen (frame of reference) als Orientierung für das eigene und zur Interpretation des fremden Verhaltens zugrunde gelegt. Anders lieÃe sich auch formulieren: Die fremde Kultur wird mit der eigenen verglichen. Vergleichsgrundlage und -maÃstab bleibt dabei zwangsläufig die Eigenkultur.
Auf diese Weise kann es bei den Interaktaten zu gegenseitigen kulturinadäquaten VerhaltensäuÃerungen bzw. -interpretationen kommen, sprich zu Missverständnissen und u.U. daraus resultierenden Konflikten (vgl. ausführlich Knapp 1992).
3. Translatorische Kulturkompetenz
Aus dem Gesagten folgt, dass bloÃes ,Fakten'-wissen für erfolgreiches interkulturelles Handeln nicht ausreicht. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr ein Wissen um (eigen- und) fremd- kulturelle Verhaltens- und Orientierungsmuster im genannten Sinn. Die Kulturkompetenz des Translators hat daher das Gesamtverhalten seiner Arbeitskulturen zu umfassen (s.u.).
Will der Translator nun funktionsgerechte interkulturelle Kommunikation ermöglichen, so muss er die im Vorwissen der Interaktanten bereits vorhandenen oder sich in der interkulturellen Situation u. U. herausbildenden gegenseitigen, Bilder’ und deren möglichen Einfluss auf den interkulturellen Kontakt in seinem Handeln berücksichtigen. Das heiÃt, "translatorische Kulturkompetenz" umfasst nicht nur das Wissen über die jeweiligen Arbeitskulturen für sich genommen ("Kompetenz-in-Kulturen"), sondern auch eine Kompetenz zwischen diesen Kulturen. (Zu den Begriffen vgl. Witte 1987:127ff.)
"Kompetenz-zwischen-Kulturen" bedeutet, der Translator muss einschätzen können, wie die (Mitglieder der) beiden Kulturen sich selbst im Verhältnis zu der jeweils anderen Kultur sehen, welches Wissen sie über die andere Kultur haben und wie sie glauben, dass sie von der anderen Kultur gesehen werden. Anders formuliert, die "Kompetenz-zwischen-Kulturen" bezieht sich auf das Wissen des Translators über Selbst-, Fremd- und reflexive Selbstbilder der betreffenden Arbeitskulturen im gegenseitigen Bezug aufeinander und auf die potentiellen Auswirkungen solcher Bilder auf die interkulturelle Situation (vgl. Beneke 1992). Erst eine solche "Kompetenz-zwischen-Kulturen" befähigt den Translator, für die interkulturelle Kontaktsituation das Verhalten der Interaktionspartner zu antizipieren und ggf. ("skoposbedingt"; Vermeer 1983 u. passim) zu kompensieren/korrigieren.
4. Didaktische Vermittlung
Translatorische Kulturkompetenz in einem Studiengang Translatorik lässt sich zunächst (methodologisch) in die Komponenten Allgemeine und Spezifische Kulturkompetenz aufspalten. Mit "Allgemeiner Kulturkompetenz" ist dabei die Sensibilisierung der Studierenden für die Problematik interkultureller Kommunikation überhaupt gemeint (vgl. Göhring 1980; s. auch Art. 30) Sie bildet die Grundlage für den Erwerb "Spezifischer Kulturkompetenz", bezogen auf die jeweiligen Arbeitskulturen des angehenden Translators. (Vgl. hierzu und zum folgenden Witte 1996)
Mit Blick auf die letztgenannte Komponente scheint folgende Ãberlegung wesentlich: Wird davon ausgegangen, dass die für eine fremde Kultur "spezifischen" Charakteristika letztlich immer auf der Basis eines Vergleichs mit der Eigenkultur ,festgestellt' werden (s.o), so ergibt sich daraus eine Relativierung des Konzepts "Kulturspezifik" Aussagen über fremdkulturelle Phänomene und Verhaltensweisen sind zwangsläufig bedingt durch die (wiederum eigenkulturbedingte) Perspektive des jeweiligen Wahrnehmenden "Kulturspezifika" ,existieren' nicht per se, sondern werden erst im und durch den Kulturvergleich als solche erkenn- und interpretierbar .
Für die Didaktik translatorischer Kulturkompetenz ergibt sich daraus, dass Wissen über eine Kultur auch nur durch den Vergleich mit einer anderen (Para-, Dia-, Idio-)Kultur vermittelbar ist. In der Unterrichtspraxis bleibt dieser zwangsläufige Vergleich in der Regel implizit. Soll die Kulturkompetenz des Translators jedoch potentiell bewusst sein (so.), so sollte auch ihr Erwerb über eine bewusste Kontrastierung der Arbeitskulturen erfolgen. Ein solches kontrastives Vorgehen als methodisch-didaktischer Ansatz darf allerdings nicht als bloÃes Nebeneinanderstellen vermeintlich statischer ,Inhalte' (s.o.) missverstanden werden. Vielmehr handelt es sich um ein an der jeweiligen translationsdidaktischen Zielsetzung ausgerichtetes und in diesem Sinne zweckorientiertes In-Beziehung-Setzen von Verhalten (einschlieÃlich der Verhaltensvoraussetzungen und -resultate) in situationellen Kontexten. Vergleichsbasis und -ziel werden dabei bewusst gemacht (und damit relativiert).
Neben diese kontrastiv-vergleichende Erarbeitung von Phänomenen und Verhaltensweisen in den Arbeitskulturen muss die Darstellung von interkulturellen Situationen zwischen den Kulturen treten (vgl. hierzu bes. Bolten 1993), denn mittels Kontrastierung ,festgestellte' "Spezifika" bleiben im interkulturellen Kontakt modifizierbar (man verhält sich anders, je nachdem, ob man sich über- oder unterlegen fühlt; man orientiert sein Verhalten an den An- nahmen über den anderen; man richtet sich nach dem, was der andere vielleicht von einem erwartet etc.; s.o.).
Da nicht alle denkbaren para-, dia- und idio- kulturellen Bereiche einbezogen werden können, geschieht die Vermittlung translatorischer Kulturkompetenz in exemplarischer Form, d.h., es werden potentiell translationsrelevante Verhaltensbereiche, Situationstypen und Rollenkonstellation(styp)en behandelt. Als didaktische Ãbungsformen bieten sich Simulation, Plan- und Rollenspiel in Ergänzung zur Textarbeit an (vgl. z.B. Bolten 1993 274; s auch Art. 102).j
Translatorisches Handeln
Holz-Mänttari entwickelte ihre Theorie zeitgleich mit, aber unabhängig von, Reià und Vermeer. Ihre Theorie entstand aus der Praxis.
Translatorisches Handeln:
• sieht Translation als kooperatives Handlungsspiel
• komplexe Ziele können nur durch Arbeitsteilung, Spezialisierung und Kooperation erreicht werden
• Translation ist ein Handlungsgefüge, in dem den Beteiligten werden bestimmte Rollen zugewiesen werden
• Handlungsgefüge:
o bezieht sich auf Situation
o der Auftraggeber als Bedarfsträger hat nicht die nötige sprachliche Expertise, um eine adäquate Ãbersetzung zu erstellen
• Translatoren sind Experten, die auch Verantwortung für ihr Produkt übernehmen müssen = translatorische Haftbarkeit
o brauchen Strategien zur besseren Kooperation mit den Auftraggebern und zur besseren Erfassung
• Produktspezifikation: Was kann in Zielkultur und Zielsituation überhaupt gesagt werden? â Warum und wozu?
o Sprache ist nur eine Teil des Ganzen
• ist ein Modell zur Darstellung der Tätigkeit von Translatoren als berufliche Leistung für Fremdbedarf unter Berücksichtigung relevanter verbaler und nonverbaler Aspekte
• Vermeer sah die Skopostheorie als Teiltheorie des Translatorischen Handelns
• Expertenkompetenz: v.a. die Fähigkeit, in verschiedenen Kulturen zu kommunizieren
• Herstellung eines Designprodukts: etwas, was für einen Zweck, extra zu diesem Zweck und nur diesem Zweck hergestellt wird und für den Fremdbedarf bestimmt ist
o Translator beteiligt sich nicht selbst an seinem Produkt, muss sich aber dennoch Gedanken um die Folgen seiner Handlungen machen
o Ãbersetzung ist relativ zu Zweck, Situation, …
1. Ãbersetzung wird in Auftrag gegeben â Gesamtsituation der interkulturellen Kooperation entsteht = Handlungsgefüge der Translation (Auftraggeber, Translatoren, evtl. Terminologen, evtl. Agenturen)
2. Rollen werden festgesetzt, die Ziele analysiert
3. Produktspezifikation: leitet als Modell weitere Handlungen
Layout, Text
Erstellung des Zieltextprofils hängt von Zweck ab
4. Recherche
inkl. Rückfragen beim Auftraggeber
Textdesign verlangt, dass wir Bedarf und Produkt spezifizieren.
Auszug aus Handbuch Translation: Translatorisches Handeln
"Lassen Sie das unsere Sorge sein!" war die Antwort des Auftraggebers, als er nach dem Verwendungszweck der zu erstellenden Ãbersetzung gefragt wurde. Er hatte natürlich eine genaue Vorstellung davon, wie das Resultat aussehen sollte eben wie die Ãbersetzung des vorgelegten Textes. Verständlich - wer von uns geht nicht zugegebenermaÃen mit einer fertigen Selbstdiagnose zum Arzt?
Die Schwierigkeiten der Koordination gegenseitiger Wünsche und Forderungen beeinflussen den Ãbersetzungsprozess und dessen Resultat entscheidend - eine Erkenntnis, der Justa Holz-Mänttäri erstmals eine wissenschaftliche Basis gab. Ihre Theorie vom translatorischen Handeln (1984) ist als kommunikations-, handlungs- und systemtheoretische Soziotranslatologie konzipiert. Ihr Ansatzpunkt ist: (1) Das Ziel der interkulturellen Kooperation ist entscheidend für die Translation, und (2) wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der die Bedarfsträger nicht ihren eigenen Bedarf erfüllen, aber auch kaum verbalisieren können. Daher müssen Experten die Bedarfsträger beraten und für ihre Produkte auch die Verantwortung übernehmen können Holz- Mänttäri stellt damit sowohl Ãbersetzen als auch Dolmetschen als Expertenhandlungen dar, die spezifische Kompetenzen voraussetzen:
Experten müssen sich ein Bild von dem ihnen übertragenen Problem machen und Lösungsmöglichkeiten kritisch gegeneinander abwägen. Dazu brauchen sie Strategien zur besseren Kooperation mit den Auftraggebern und zur Erfassung der vielen denkbaren Produktvarianten. Holz-Mänttäri bietet dazu zahlreiche Kooperationsmodelle und Handlungskonzepte an (s. insb. 1984, 1993).
1. Dem Sinn der Translation auf der Spur
Die Theorie vom translatorischen Handeln schöpft aus der übersetzerischen Praxis und zielt auf praktische Anwendung ab, wenngleich ihre innovative Terminologie und ihr abstrakt anmutender Ansatz auf den ersten Blick manchen Praktiker abstoÃen mag. Anstatt sich an Dichotomien festzufahren (literarische Texte - Gebrauchstexte, Treue -Freiheit u.ä.), operiert sie mit Begriffen wie ,System' und ,Handlung' - je umfangreicher eine Theorie, desto umfangreicher die methodologischen Konsequenzen. Vereinfacht könnte man sagen, dass der Systemgedanke uns die Zusammenhänge und Wechselwirkungen erkennen lässt, während der Handlungsaspekt die Relevanz von Zielen und Situationen unterstreicht. Aus dieser Perspektive wird erkennbar, warum Ãbersetzen und Dolmetschen als Teilhandlungen in Handlungsgefügen zu sehen sind und ,Treue' und ,Freiheit' ohne Einbeziehung der übergeordneten, fallspezifischen Handlungsziele nur willkürliche Forderungen bleiben müssen.
Die Frage kann also zunächst nicht sein, wie ich dies oder jenes in einer anderen Sprache sage, sondern vielmehr was überhaupt in der Zielsituation und -kultur getan und gesagt wird oder werden kann. Wir erkennen, dass die Suche nach Entsprechungen von einzelnen Wörtern, Sätzen und Texten viel zu kurz greift - erst die Gesamtsituation lässt uns die Relevanz, die Dynamik und den Sinn des Ãbersetzens verstehen. Es reicht nicht zu sagen, dass wir übersetzen oder dolmetschen, weil jemand einen fremdsprachlichen Text braucht, wir müssen die Frage nach dem Warum und Wozu stellen: Wozu wird etwa eine Rede gehalten, und für wen werde ich sie übersetzen oder dolmetschen? Erst dann wird mir klar, welche Kompetenzen und welches Zusatzmaterial ich brauchen werde, welche Folgen meine Ãbersetzung haben könnte und welche Aspekte des Ausgangstextes (AT) ich besonders beachten muss (s. Art. 28).
2. Die integrative Wende
Die Theorie vom translatorischen Handeln war einer der wichtigsten Beiträge zur Neuorientierung der Ãbersetzungs- und Dolmetschwissenschaft in den 80er Jahren. Die pragmatische Wende' der Linguistik hatte eine neue Bewertung des Begriffs Sprache mit sich gebracht, und besonders in der Textlinguistik begann man, die Rolle des Textes in seinem Kontext als Teil einer Situation zu betonen (s. Art. 15).
Translation wird bei Holz-Mänttäri nicht als rein sprachliche Tätigkeit aufgefasst, und Translatoren sind bei ihr nicht nur Sprachmittler, die Elemente einer Sprache durch Elemente einer anderen Sprache ersetzen. Ihr Verdienst liegt also im Versuch, allen translatorischen Handlungen des Translators (Ãbersetzers, Dolmetschers oder Kommunikationskonsulenten) eine theoretische Grundlage zu liefern. SchlieÃlich ist die Bearbeitung des sprachlichen Materials nur ein Teil des Ganzen - und bleibt sinnlos, solange nicht berücksichtigt wird, dass die behandelten Sachverhalte, das Bildmaterial oder die Verwendungsweise der Ãbersetzung in der Zielkultur auf Unverständnis stoÃen. Der Kern der Theorie ist deshalb die Darstellung der Tätigkeit von Translatoren als einer beruflichen Leistung für Fremdbedarf unter Einbeziehung der jeweils relevanten verbalen und non- verbalen Aspekte. Im Vergleich dazu erscheinen sprach- oder textsortenspezifische Translationsmethoden ohne theoretische Basis nur als bloÃe Daumenregeln ohne gesicherte Grundlagen.
Translationswissenschaftler (Translatologen) beschäftigen sich heute zunehmend mit der Rolle der Translation als Expertenhandlung zur Ermöglichung interkultureller Kommunikation, als Handlung-in-Situation mit einem fallspezifischen Zweck. Die Skopostheorie (s. Art. 28) bezeichnet Vermeer (1989:173) als Teiltheorie der Theorie vom translatorischen Handeln.
3. Neues Kompetenzprofil
Jegliche Expertenkompetenz baut auf natürlichen Fähigkeiten auf - beim Ãbersetzen ist dies die Fähigkeit, in verschiedenen Kulturen kommunizieren zu können. Nach Holz-Mänttäri (1996) handelt es sich aber beim Ãbersetzen selbst nicht primär um Kommunikation, sondern um die Herstellung eines Produktes für andere und für einen bestimmten Zweck - um ein Designprodukt also. Meines Erachtens ist es allerdings wichtig zu ergänzen, dass Ãbersetzende bei Bedarf auch die Möglichkeit haben müssen, sich in ihrer Rolle als Zieltextproduzenten an der Kommunikation mit den Rezipienten zu beteiligen. Damit wird auch der Illusion der identen Reproduktion die Grundlage entzogen (s. Risku 1997). Andererseits verwenden Ãbersetzende in der Regel ihre Texte genauso wenig selbst wie Dramatiker schauspielern oder Reiseveranstalter an ihren Reisen teilnehmen, müssen sich aber wie Waffenhersteller Gedanken über die Folgen ihrer Handlungen machen Produktion und Verwendung verlangen also ganz unterschiedliche Kompetenzen.
Ãbersetzende kommen mit dem Kunden/ Auftraggeber überein, welche Art von Text gebraucht wird und unter welchen Bedingungen dieser hergestellt werden soll. Sie können im Bereich der interkulturellen Kommunikation und insbesondere in der Verwendung ihrer Texte beratend Einfluss nehmen Ihre Leistungen sind in ihrer Wirkung wie Prothesen sie er- möglichen es jemandem, den eigenen Handlungsraum zu erweitern (Holz-Mänttäri 1996:329). Der Umgang mit Prothesen ist allerdings nicht immer unproblematisch, gerade weil er unsere ,natürlichen' und ,gewachsenen' Fähigkeiten übersteigt. So kann ein Auftraggeber nach Vorliegen einer Ãbersetzung für den Schweizer Raum nicht voraussetzen, dass dieser oder jener Terminus in Ãsterreich üblich ist oder verstanden wird.
Die sog Gesamtsituation der interkulturellen Kooperation, dieses ineinander verwobene Handlungsgefüge, zu dem auch die Translation gehört, wird gedanklich aufgebaut. Erst in dem auf diese Weise erstellten Rahmen kann sinnvoll gehandelt werden. Bevor wir also im traditionellen Sinne zu übersetzen und zu dolmetschen beginnen, müssen wir überprüfen, ob die Bestellung überhaupt sinnvoll ist - eine durchaus politische und kulturspezifische Aufgabe. Ist Flüsterdolmetschen in der angegebenen Situation möglich? Gibt es die betreffende Textsorte in der Zielkultur? - Sind Fragen dieser Art schlüssig beantwortet, können wir daran gehen, uns Gedanken über die Art des Zieltextes (ZT) zu machen.
Am Beginn translatorischer Handlungen steht also eine Bestellung. Sie liefert den Translatoren Arbeitsmaterial und Arbeitsvertrag mit Angaben über das zu erstellende Produkt und seine intendierte Verwendung. Eine Relevanzstruktur für das gelieferte Material wird erarbeitet. Dazu werden Handlungen und Rollen, Zwecke und Ziele, Sachverhalte und Strategien sowie Ausdrucksweisen und Verknüpfungen analysiert (Holz-Mänttäri 1984) Die Translatoren versuchen dabei, nicht nur zu verstehen, sondern auch zu evaluieren. Dies führt zu einer Produktspezifikation, die als (Text- )Modell ihre weiteren Handlungen leitet.
Die Analyse des Ausgangsmaterials ergibt ein Profil, das die einzelnen Elemente in ihrer Funktion zeigt und die innere Struktur des AT verdeutlicht Der Translator vergleicht nun die Resultate der Ausgangsmaterialanalyse mit der Produktbeschreibung und entwirft ein Profil für den zu erstellenden ZT. Dieses ZK-Profil bildet den Orientierungsrahmen für die Produktion.
Eine Pflicht und ein Recht des Translators bleibt in vielen Translationskonzepten unbeachtet: die Beschaffung und Auswertung von Feedback der Anwender. Dadurch wird die wertvolle Chance zur zielgruppenorientierten, rekursiven Verbesserung von Ãbersetzungen vertan.
In Kurzform: Das Textdesign verlangt, dass wir
• den Bedarf und das Produkt spezifizieren,
• unsere Handlung projektieren,
• einen Textproduzieren und den Gesamtprozess kontrollieren.
• Gleichzeitig müssen wir recherchieren,
• die Funde für den vorliegenden Fall modifizieren,
• für unsere Entscheidungen argumentieren
• und ständig unsere Arbeitsweise adaptieren.
(s Holz-Mänttäri 1993:308f.)
4. Das Schichten von Rechten und Pflichten
Professionalität bringt Produkthaftung mit sich. Der herzustellende Text soll in der vereinbarten Funktion gut verwendbar sein, aber eben nur dort. Ein Gedichtband wird durch die gemeinsame Veröffentlichung von fremdsprachigem Originaltext und Verständnis erleichternder Ãbersetzung zum zweisprachigen Werk; der Ãbersetzungsteil kann wegen seines referierenden Charakters allerdings nicht ohne den AT bestehen und schon gar nicht als eigenständiges Kunstwerk verwendet werden Wenn sowohl Bedarfsträger als auch Bedarfsdecker sich ihrer Ziele und Befugnisse bewusst werden, ist die Basis für eine sinnvolle Zusammenarbeit geschaffen
Aus Gründen der Qualitätssicherung gilt es, die Rahmenbedingungen zu institutionalisieren. Es entstehen Ausbildungsinstitute, MaÃnahmen zum Schutz der betroffenen Berufsstände, Vertragsmodelle. Dies geschieht, um die Gesamtperspektive bei der Komplexität unserer heutigen Handlungsnetze zu behalten oder wiederherzustellen. Obwohl Holz-Mänttäri von industrieller Terminologie Gebrauch macht (Produktion, Bestellung), stehen für sie doch klar der Mensch und die Wirkungen seines Tuns auf das Gesamtsystem im Mittelpunkt.
Beispiel Software-Lokalisierung (s Art. 55:) Es werden etwa für die Herstellung verschieden sprachlicher Programmversionen adäquate Handlungsweisen gesucht. Die Software-Lokalisierung wird institutionalisiert. Es stellt sich heraus, dass eine sprachorientierte Lösung unzureichend wäre. Das gesamte Produkt mit allen seinen kultur- und fachspezifischen Merkmalen wie graphischen Elementen und MaÃsystemen muss überprüft werden und somit auch für Ãbersetzende als Ausgangsmaterial zur Verfügung stehen. Kulturkenntnisse und Fachterminologien bieten aber keine Patentlösungen. Die Ãbersetzung von Handbüchern, Befehlen, Online-Hilfen und Fehlermeldungen verlangt unterschiedliche Strategien, da sie in unterschiedlichen Situationen verwendet werden (s Freigang 1996). Hier sind wir also im engeren translatorischen Bereich angelangt. Als Experten müssen wir diese Verwendungszwecke definieren und nach den jeweils adäquaten Lösungen suchen. Die traditionelle Arbeitsorganisation, in der die Ãbersetzenden ein fertiges Softwareprodukt auf den Tisch geliefert bekommen, erweist sich im Lichte der Theorie vom translatorischen Handeln als problematisch. Ãbersetzende könnten oft bereits etwa bei der Planung des Originalprogrammes eingebunden werden, wodurch dieses gleich für die Lokalisierung und für den internationalen Markt adäquat vorbereitet würde.
5. Aktuelle Entwicklungen
Seit den 80er Jahren hat das Konzept des translatorischen HandeIns entscheidende Modifikationen erfahren. Drei Haupttendenzen sollen hier angeführt werden die Entwicklung des Designbegriffs und der erkenntnistheoretischen Grundlagen sowie die Relativierung der Rolle von Handlungskonzepten.
Kunstdesign, industrielles Design - Textdesign!
Anfangs bezog sich "Translatorisches Handeln" auf die professionelle Ermöglichung interkultureller Kommunikation, etwa durch Ãbersetzen oder Dolmetschen. Seither ist der Begriff des translatorischen HandeIns auf der Abstraktionsleiter einige Sprossen hochgeklettert und bezeichnet jetzt alle professionellen Tätigkeiten, die "für die Rollen und Angelegenheiten anderer" durchgeführt werden (Holz-Mänttäri 1996:324) Damit wurden die Ebenen, in denen sich Translatoren bewegen, genauer herausgearbeitet. Ãbersetzen und Dolmetschen sind Expertenhandlungen, haben also vieles mit anderen professionellen Tätigkeiten gemeinsam. Insbesondere sind sie Designhandlungen und stehen mit anderen Tätigkeiten zur Entwicklung von künstlerischen und industriellen Produkten auf einer Stufe. Sie haben allerdings das besondere Ziel der Ermöglichung einer interkulturellen Kommunikation - ob zwischen Experten und Laien oder zwischen Italienisch- und Deutschsprachigen.
Erkennen und Verstehen
Anfangs zielte die Theorie vom translatorischen Handeln vor allem auf die Erklärung der sozialen Rollen und Beziehungen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ab Arbeitsteilung bringt es mit sich, dass externe Mitarbeiter herangezogen werden, die sich der Aufgabe aus einer gewissen Distanz heraus nähern müssen. Ob bzw. wie gut es AuÃenstehenden gelingen kann, situationsspezifisch adäquate Texte herzustellen, wird zwar seit Jahren diskutiert, erkenntnistheoretische Grundlagen wurden jedoch erst in jüngster Zeit erstellt (Holz-Mänttäri 1996, Risku 1997).
Anfangs verwendete Holz-Mänttäri beispielsweise den Terminus Botschaftstransfer, der impliziert, dass nicht nur Texte - als eine Art Botschaftsträger -, sondern auch Botschaften selbst kulturspezifisch sind. ,Transfer' von Botschaften könnte aber als, Transport' missverstanden werden, obwohl Botschaften nicht als solche transportiert werden können. Wir können nur versuchen, für eine Zielgruppe, Situation und Kultur sinnvolle Texte herzustellen und dabei relevante Aspekte des Ausgangsmaterials aus einer anderen Situation und Kultur zur Hilfe zu nehmen Anstelle von Botschaftstransfer spricht Holz-Mänttäri heute von Bewusstseinstransfer - wir erkennen die Inadäquatheit der gewohnten Verhaltensweisen und lernen, einen professionellen Handlungsrahmen zu konstruieren, in dem wir die relevanten Bedingungen der Zielsituation berücksichtigen können.
Intuition mit System
Anfangs wurde durch detaillierte Methoden und Handlungskonzepte die Wichtigkeit nachvollziehbaren und argumentierbaren HandeIns betont: " Translatoren sind Profis, die analytisch-synthetisch-evaluativ kreativ arbeiten (Holz- Mänttäri 1984), sie müssen jederzeit ihre Lösungen begründen können. Handlungskonzepte schienen die Rolle allgemeiner Prinzipien zu übernehmen. Heute wird aber immer mehr betont, dass die notwendigerweise kulturspezifischen Methoden und Konzepte nur dazu da sind, um die Komplexität interkultureller Situationen in den Griff zu bekommen und danach alle intuitiven, chaotischen und individuellen Kräfte voll einsetzen zu können (Holz-Mänttäri 1996:323, Risku 1998). Zuerst also begreifen, dann loslassen. Zuerst die Sache von oben aus der Distanz betrachten, dann nach Herzenslust hineintauchen. Wenn die Strudel Ãberhand nehmen, warten die Raster der Analyse als rettende Bojen, die uns helfen können, die eigene Position und die bisherigen Resultate wieder im Gesamtrahmen zu erkennen
6. Resümee
Die Theorie vom translatorischen Handeln verhalf in den 80er Jahren der Translationswissenschaft und der Ausbildung von Translatoren zu einer Neuorientierung und wird einen wichtigen Faktor in der weiteren Professionalisierung des Faches darstellen. Sie unterstützt das (Selbst-)Bewusstsein über die gesellschaftliche Rolle von Translatoren und über die Bedingungen, in denen verantwortungsvoll übersetzt und gedolmetscht werden kann. Wird es gelingen, der Translation den ihr gebührenden Stellenwert zu geben: vom reinen "Sprachlerberuf' zu einer umfassenden, textproduktiven Expertentätigkeit zur Ermöglichung interkultureller Kommunikation?
Durch Translatorisches Handeln
als Expertenhandlung
soll ein Botschaftsträger „Text“
im Verbund mit anderen Botschaftsträgern
produziert werden,
ein Botschaftsträger „Text“,
der in antizipierend zu beschreibender Rezeptionssituation
zwecks kommunikativer Steuerung von Kooperation
über Kulturbarrieren hinweg
seine Funktion erfüllt.
• Expertendistanz: Translator ist AuÃenstehender und Experte, erhält Distanz zum Auftrag durch
• Artifizierung: künstlich erzeugt, durch Ausbildung verfeinert und gesteuert
• Professionalisierung: Bedarfsträger ist nicht Experte für Translation
• Institutionalisierung des Berufs und Anerkennung durch Gesellschaft
Translationskultur
• Kultur der Translation
• historisch gewachsen (wie alle anderen Kulturen)
• aktuell gegeben (wie die meisten anderen)
• grundsätzlich steuerbar â veränderbar
• Subsystem einer Kultur
• bezieht sich auf Handlungsfeld Translation
• besteht aus einer Gruppe von gesellschaftlich etablierten Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen aller Handlungspartner, die in dieser Kultur aktuell oder potentiell an Translationsprozessen beteiligten Handlungspartnern besteht
o Norm: etwas ist so üblich, dass es fast als Vorschrift gilt
o Konvention: Skala der Vorschriften
Lexikalische Problemfelder
siehe auch: Dressler
Lexik: Wortschatz
Lexikon: Nachschlagewerk zum Wortschatz
Lexem: Wort (lexikalische Einheit)
Lexikologie: Wissenschaft / Studium der Wörter einer Sprache
Lexikographie: Wissenschaft / Studium, wie man aus Wortschatz Wörterbücher macht
Metalexikographie: Wissenschaft über die Lexikographie
de Saussure: Unterschied zwischen langue (Sprachsystem, Thema der kontrastiven Linguistik) und parole (Text, Thema der Translationswissenschaft)
Wörterbücher und andere Hilfsmittel
• sie geben keine fertigen Lösungen
• sie bieten keine unmittelbar einsetzbaren Ãquivalente an
• sie bieten Begriffe als Hilfsmittel im translatorischen Entscheidungsprozess an
• Wörter sind isoliert, erscheinen ohne Kontext, werden dann aber im Kontext verwendet
• sollen durch Information helfen
• Makrostruktur
o bezieht sich auf die Auswahl und Anordnung der Stichwörter
• Mikrostruktur
o bezieht sich auf Ausbau und Inhalt des Artikels
siehe auch: Translation und Text, S.97
einsprachige Wörterbücher
• Lemma: Wörterbucheintrag
• Komposita
• Definition
• Kollokationen
• Beispielsätze
• Glossen: Erklärungen, Erläuterungen, zusätzliche Informationen
zweisprachige Wörterbücher
• Lemma: Wörterbucheintrag
• Glossen: Erklärungen, Erläuterungen, zusätzliche Informationen
• „(Ãbersetzungs-)Ãquivalente“
• Phraseologismen
• idiomatische Wendungen
• metaphorische Wendungen
Wörterbuchtypen
• monolinguale Wörterbücher
o alphabetisch geordnet
o historische Wörterbücher
o allgemeine Bedeutungswörterbücher (Duden)
ï§ Englisch: Collins, Webster
ï§ Französisch: Robert, Larousse
o Lernwörterbücher
ï§ Definitionen kurz gehalten
o Spezialwörterbücher
ï§ etymologische Wörterbücher (Kluge)
ï§ Dialektwörterbücher
• bilinguale Wörterbücher
o ähnliche Makrostruktur wie monolinguale Wörterbücher
o terminologische Wörterbücher
o Fachwörterbücher
Weitere Hilfsmittel
• Thesaurus
o Anordnung von Wortfeldern oder Sachgruppen
o geht von Begriffen, nicht von Wörtern aus
• Sachlexika / Enzyklopädien
o Termini / Namen / Wörter mit Zusatzsachinformationen zum Stichwort
o meist werden alphabetisch geordnete Wissensgebiete beschrieben
• Paralleltexte
• Internet
o Ãsterreichlexikon
Auszug aus Handbuch Translation: Wörterbücher
1. Das Wörterbuch in der Berufspraxis
Entgegen der Ãberzeugung vieler Laien ist das Wörterbuch keineswegs das einzige Hilfsmittel des Berufsübersetzers (s Art. 50 u. 51); vor al- lern die laienhafte Klischeevorstellung des zweisprachigen Wörterbuches als ,translator's dictionary' sollten angehende Ãbersetzer möglichst früh in der Ausbildung verwerfen. Beim professionellen Ãbersetzen ist die Einsicht wichtig, dass Wörterbücher nicht in erster Linie dazu dienen, fertige, unmittelbar einsetzbare Ãquivalente zu liefern, sondern Informationen zur Hilfestellung im translatorischen Entscheidungsprozeà zu geben (s Art. 19). Und dazu gibt es - vor allem im englischen, französischen und deutschen Sprachraum, wo die Lexikographie seit etwa 1980 einen beispiellosen Aufschwung erlebt -eine reiche Palette von Möglichkeiten.
2. Wörterbuchtypen
Wörterbücher unterscheiden sich in der Auswahl und Anordnung der Stichwörter (Makrostruktur), im Aufbau und Inhalt der Artikel (Mikrostruktur) und nicht zuletzt im Umfang (was auch die Art und Ausführlichkeit der Angaben beeinflusst). Wichtige Informationen, z.B. zum Inhalt und Adressatenkreis, zur Zielsetzung und zu den aus Platzgründen notwendigen Abkürzungen, finden sich im Vorspann (Vorwort und Anleitung), und mit diesen sollte sich der Be- nutzer unbedingt vertraut machen
2.1 Einsprachige Wörterbücher
Zu diesen zählen historische Wörterbücher (wie etwa Grimms Wörterbuch oder das Oxford English Dictionary), allgemeine Bedeutungswörterbücher (wie das Duden Universalwörterbuch, das Collins English Dictionary, das Random House Dictionary, Robert oder Larousse),
Lernwörterbücher (wie das Advanced Learner's Dictionary oder Longman Dictionary of Contemporary English) und Spezialwörterbücher (wie etymologische Wörterbücher, Slang-, Dialekt- oder Aussprachewörterbücher).
Das einsprachige Wörterbuch ist alphabetisch angeordnet; nach dem Stichwort (Lemma) folgen Informationen (z.B. zur Wortart, Etymologie oder Aussprache) und Definition(en) (bzw. Erläuterungen) und - je nach Typ, Adressatenkreis und Zielsetzung -weitere Angaben wie Kollokationen, Redewendungen und Beispielsätze.
Für BerufsübersetzerInnen ist das einsprachige Wörterbuch ein überaus wichtiges Werkzeug, dessen Benutzung in der Ausbildung gelernt und geübt werden muss. Lexikographen plädieren seit längerer Zeit für eine gezielte Wörterbuchdidaktik In der Berufspraxis kann es natürlich vorkommen, dass Informationen aus allen oben genannten Bereichen - je nach Fachgebiet und Sprachspezialisierung - eingeholt werden müssen, aber im groÃen und ganzen kann man einen Grundstock umreiÃen, der zur persönlichen Bibliothek aller Ãbersetzer gehören sollte. Es ist nicht die Aufgabe dieses Beitrags, für einzelne Werke Werbung zu machen, deshalb werden im folgenden keine Titel genannt, sondern nur die Eigenschaften umrissen, die ein für Ãbersetzungszwecke gutes Wörterbuch besitzen sollte.
Unentbehrlich für alle Berufsübersetzer (auch in der Ausbildung) ist (für jede Arbeitssprache) ein modernes allgemeines Wörterbuch mit mindestens 100 000) Stichwörtern, das vor allem den gemeinsprachlichen Wortschatz abdeckt, aber auch allgemein gängige Fachwörter (zu Termini und Fachwörtern s. 22 unten) sowie - entsprechend dem heutigen Trend - Sachinformationen (s 24 unten) enthält. Wichtig sind treffende, ausführliche, aber klare Definitionen und eine benutzerfreundliche, leicht erkennbare Strukturierung der einzelnen Artikel (wobei typographische Gesichtspunkte eine Rolle spielen) sowie geeignete Beispielsätze, die das Stichwort in einen prototypischen Kontext einbetten, aber auch Synonyme, stilistische Bewertungen und Querverweise.
Im Gegensatz zu den herkömmlichen allgemeinen Wörterbüchern, die meist für Muttersprachler verfasst werden, richten sich Lernwörterbücher an Fremdsprachenlerner und dienen in erster Linie der Sprachvervollkommnung. Sie sind in dieser Funktion auch in der Ãbersetzerausbildung wertvoll, und die neuesten Ausgaben enthalten Informationen, die auch für den ,Profi' durchaus von Interesse sein können. Sie zeichnen sich durch leicht verständliche Definitionen sowie viele Kollokationen und Beispielsätze aus, aber auch durch zusätzliche Angaben zur Grammatik, Aussprache und Sprachverwendung sowie Illustrationen und graphische Darstellungen
Historische Wörterbücher, die nicht nur über Etymologie und Bedeutungswandel informieren, sondern auch authentische Kontextbelege anführen, sind besonders in der literarischen Ãbersetzung notwendig Diese sind aber meist mehrbändig und - sofern überhaupt noch erhältlich -sehr teuer und deshalb vorwiegend nur in Bibliotheken zu finden. Ãbersetzer sollten vor den Taschenausgaben solcher Wörterbücher (als vermeintlichen Ersatz für ein allgemeines Wörterbuch) gewarnt werden, da sie oft nur unzulängliche Definitionen und sehr knappe Zusatzinformationen bieten können.
2.2 Zweisprachige Wörterbücher
In der Makrostruktur sind ein- und zweisprachige Wörterbücher ähnlich; in der Mikrostruktur unterscheiden sie sich vor allem dadurch, dass im zweisprachigen Wörterbuch anstelle von Definitionen fremdsprachliche "Ãquivalente" aufgeführt werden. In der translatorischen Praxis und in der Ausbildung müsste beachtet werden, dass diese keine Patentlösungen sind, sondern als Informationen zur Entscheidungshilfe verstanden werden sollten; d.h. je mehr Informationen zu den angeführten Ãquivalenten bzw. Teiläquivalenten geboten werden (Differenzierung in Bedeutung und Verwendung), desto brauchbarer das Wörterbuch. Auf eine moderne Konzeption wäre auch zu achten einige als "neu" präsentierte Wörterbücher sind oft Ãberarbeitungen alter Vorlagen, und die "Ãquivalente" sind entsprechend veraltet. Der kritische Umgang mit dem zweisprachigen Wörterbuch muss ebenfalls in der Ausbildung gelernt werden, und auch hier muss vor den - bei Touristen und Schülern so beliebten -Taschenausgaben gewarnt werden.
Allerdings sind v.a. in der russischen Lexikographie auch zweisprachige Lernwörterbücher entstanden, die in der Ãbersetzerausbildung eingesetzt werden können. Das Konzept eines didaktisierten zweisprachigen Wörterbuchs wurde schon 1935 von Scerba vorgelegt (s. Snell-Hornby 1987), der zwischen "aktiven" Wörterbüchern zur Textproduktion in der Fremdsprache und "passiven" Wörterbüchern als Verständnishilfe und zur Ãbersetzung aus der Fremdsprache unterschieden hat. Nach diesem Konzept wurde Bielfeldts überaus nützliches Wörterbuch Russisch-Deutsch (1982) und Deutsch-Russisch (1983) verfasst.
Für das Ãbersetzen von Fachtermini sind zweisprachige Darstellungen hingegen angemessen und auch notwendig; diese haben aber längst den engen Rahmen gedruckter Wörterbücher gesprengt, wobei sich die Terminographie neben der allgemeinen Lexikographie zu einem eigenständigen Wissensgebiet entwickelt hat (s Art. 22, 23). Heutzutage sind Terminisammlungen - neben zahlreichen Glossaren zu engen Fachgebieten - vor allem in elektronischer Form (Datenbanken) für den Translator zu empfehlen (s Art 51).
2.3 Thesauri
Der Thesaurus hat für Ãbersetzer ein reiches, noch kaum erforschtes Potential. Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Wörterbuchtypen ist er meist nicht alphabetisch, sondern nach Sachgruppen bzw. Wortfeldern angeordnet (s Art 19). Während das herkömmliche Wörterbuch vom Wort ausgeht und Bedeutungen definiert, geht der Thesaurus von Begriffen aus, die nach einem bestimmten System geordnet werden. Am bekanntesten ist wohl der bereits 1852 erschienene Thesaurus of English Words and Phrases des Physikers Peter Mark Roget, der immer wieder neu bearbeitet wird und sich noch heute groÃer Beliebtheit erfreut. Auch im deutschen Sprachraum hat der Thesaurus Tradition: wegen der veralteten Sprache für den heutigen Ãbersetzer fast unbrauchbar, in der Konzeption aber noch vorbildlich ist Daniel Sanders’ 1877 erschienenes Nachschlagewerk Deutscher Sprachschatz. Die Einträge „geordnet nach Begriffen zur leichten Auffindung und Auswahl des passenden Ausdrucks“, wie es auf dem Titelblatt heiÃt, und selbst der umfangreiche Index bieten eine Fülle von Informationen (neben Synonymen auch Kollokationen, Redewendungen, Homonyme, Antonyme, Fachtermini und Angaben zur Bedeutungsdifferenzierung), die vor allem für literarische Ãbersetzer überaus wertvoll sind. Als "Ãbersetzerwörterbuch" wird von Ãbersetzern ein moderner Thesaurus dieser Art gefordert (Birkenbauer/ Birkenhauer 1989; s auch Snell-Hornby 1996).
2.4 Sachlexika und Enzyklopädien
Das Problem in der translatorischen Praxis besteht darin, dass der Ãbersetzer mit Texten - also auf der parole-Ebene - arbeitet, während das Wörterbuch von isolierten lexikalischen Einheiten (Lexemen) auf der langue-Ebene ausgeht (s Art, 19). Das gilt auch für Wörterbücher, die - entsprechend dem heutigen Trend - zusätzlich Sachinformationen anbieten. Als unentbehrliches Hilfsmittel beim Ãbersetzen erweisen sich deshalb auch Sachlexika und Enzyklopädien, die unter alphabetisch geordneten Stichwörtern Wissensgebiete beschreiben. Wertvoll sind sie nicht nur wegen der kompakten Sachinformationen, sondern auch deshalb, weil sie Termini, Begriffe und Lexeme in einen breiteren Kontext einbetten und in ihrer natürlichen Sprachverwendung in einem Text - also auf der Ebene der parole -zeigen, Neben den mehrbändigen Enzyklopädien, die den gesamten Wissensstoff aller Disziplinen darstellen wollen, gehören auch die Sachlexika zum jeweiligen Spezialgebiet in die Bibliothek des Ãbersetzers -und deren Benutzung sollte eben- falls in der Ausbildung geschult werden.
3. Schlussbemerkung
Da heute die GroÃverlage - zumindest im englischen, französischen und deutschen Sprachraum und bei anderen weit verbreiteten Sprachen - mit immer neuen Nachschlagewerken eifrig miteinander konkurrieren, gibt es auch innerhalb der jeweiligen Gebiete eine manch- mal reichliche Auswahl (bei der Wahl eines Wörterbuches können Rezensionen in einschlägigen Fachzeitschriften sehr aufschlussreich sein. Bei den sog, "kleineren Sprachen" hingegen ist das Angebot heute manchmal noch sehr dürftig; hier befinden sich lexikographische GroÃprojekte oft erst in den Anfangen bzw., kommen aus finanziellen Gründen kaum voran.
Im ausgehenden 20. Jahrhundert soll der Hinweis nicht versäumt werden, dass Wörterbücher immer häufiger in elektronischer Form (CD-ROM) erscheinen, in der sie dem gedruckten Buch (zumindest in den reichen Industrieländern) immer mehr den Rang ablaufen. AuÃerdem werden mit der zunehmenden Technisierung und Globalisierung des Ãbersetzer- beruf, auch andere elektronische Arbeitsmittel zum festen Bestandteil des Ãbersetzer-Arbeitsplatzes (s. Art. 51,52).
Ãquivalenz bzw. interlinguale Beziehungen
1. Terminologie und Nomenklaturen
a. vor allem naturwissenschaftlich
i. (Sprache entsteht aus den Gegebenheiten)
b. nicht in der Rechtssprache
i. (Wörter entstehen aus Sprache selbst)
c. Beispiele
i. Stativ – Tripod
ii. Sauerstoff – Oxygen
2. international gebräuchliche Begriffe
a. Wochentage
i. Achtung: Saturday – Samstag, Sonnabend
b. Konkrete Gegenstände
i. Achtung: kochen – cook, boil (nur Wasser)
3. Soziokulturelle Normen, Wahrnehmung und Bewertung
a. gemütlich
b. kitschig
c. keifen
4. Realien und Unika
a. Heuriger
b. Kaiserschmarrn
c. public school
d. cricket
e. sc. Artikel 81 von Fr. Markstein S.288 und S.291
i. Definition Realien (Neben den gängigen…, Element des Alltags, Realien sind Identitätsträger)
Auszug aus Handbuch Translation: Realia
Wenn fünf Russen um einen Samowar, fünf Iren in einem Pub und fünf Wiener beim Heurigen sitzen, so mögen sie wohl über dasselbe reden - Politik, Liebe, Steuern, doch es wird nicht das gleiche Gespräch sein, und dies nicht nur der verschiedenen Sprachen wegen. Es sind der Samowar, der Pub, der Heurige, die die Farben hergeben, die Gesten, den Rhythmus der Unterhaltung, den Klang. alles rundum, was wir bei der Ãbersetzung zu beachten haben
1. Realien als Identitätsträger
Neben der gängigen, konkreten Definition der Realie als Element des Alltags, der Geschichte, der Kultur, der Politik udrgl eines bestimmten Volkes, Landes, Ortes. die keine Entsprechung bei anderen Völkern, in anderen Ländern, an anderen Orten hat, würde ich verallgemeinernd noch hinzufügen. Die Realien sind Identitätsträger eines nationalen/ethnischen Gebildes, einer nationalen/ethnischen Kultur - im weitesten Sinne -und werden einem Land, einer Region, einem Erdteil zugeordnet. Damit der zielsprachliche Leser die über einen Text der Ausgangssprache (AS) verteilten Bezüge auf Realien versteht, bedarf es einer gröÃeren oder geringeren Transformation, zumindest einer kontextuellen Erklärung. Und weil diese, auch landeskonventionell genannten Elemente fest im Alltag der Menschen verankert sind, sind die AS-Ausdrücke. die sich auf Realien beziehen, im Gegensatz zum nüchtern-präzisen Terminus ihrer Natur nach emotiv und werden daher hauptsächlich in expressiven, respektive appellativen Texten verwendet - im Reisebericht, in der Publizistik, in der Werbung und vornehmlich im sprachlichen Kunstwerk.
Um der obigen Definition gerecht zu werden, muss sich die Realie als Wort gegen andere "Sonderbegriffe" der Sprache abgrenzen. Zu allererst gegen den Terminus, der einer Realie geradezu entgegengesetzt ist. Er ist ein Fachausdruck aus einer bestimmten Wissenschaft oder auch einer bestimmten Tätigkeit der sich durch eine exakte Definition auszeichnet und meist im internationalen wissenschaftlichen Gebrauch steht. Trotz der scheinbar so klaren Definition kommen Fragen auf. Sind Begriffe wie "New Deal" (aus der Ãra Roosevelt) oder "GroÃer Bruder" (aus Orwells Roman 1984) politische Termini oder Realien des politischen Lebens bestimmter Länder zu bestimmten Zeiten? Wahrscheinlich ist beides richtig, und die übersetzerische Entscheidung hängt zu guter Letzt vom AS-Texttyp ab. Nicht leichter ist die Abgrenzung gegen Dialektismen und Barbarismen, gegen lokale und soziale Ausformungen einer Sprache. Z.B. finden sich im Duden-Universalwörterbuch sowohl Haberer als auch Spezi, das erste mit dem Vermerk "österr.ugs.", das zweite mit "südd. österr.ugs. seltener: schweiz.ugs.". Es leuchtet ein, dass beide Wörter einem Text eine eigene Färbung verleihen, doch die Eigentümlichkeit liegt im Bezeichnenden, nicht im Bezeichneten, einem guten Freund eben, daher handelt es sich um eine Sprachvariante, keine Realie. Andererseits können Dialekte durchaus Realien liefern: vgl. einen Schmarren, laut Duden: "österr. auch südd." = etwas von minderer Qualität, etwas Unsinniges und Wertloses, und denselben Schmarren in Kaiserschmarrn = eine Ãsterreichische Lokalspeise und somit eine Realie. Eine Fragestellung anderer Art birgt der sog. exotische Wortschatz. Nehmen wir den Schnee, im euroamerikanischen Kulturkreis gewiss keine Realie, hingegen etwas Unbekanntes für Afrikaner am Ãquator. Eine Realie also aus ihrer Sicht? Wie ebenso die bis zu zwanzig be- nannten verschiedenen Schneearten bei den Polarvölkern für uns Mitteleuropäer? Wahrscheinlich doch nicht. Die Fremdheit allein reicht für eine Konstitution des Begriffs "Realie" nicht aus, denn wir verstehen darunter letztlich nicht Naturerscheinungen, sondern etwas vom Menschen Geschaffenes oder Ersonnenes. Und so ist jede Grenzziehung um das Wort Realie kompliziert, weil oft relativ, da sich vieles, wie das Leben überhaupt, nicht etikettieren lässt.
Trotz dieser Komplexität der flieÃenden Grenzen wollen wir zur nächsten Fragestellung gehen: Was gehört zur Realie? Das Wort Realie bezeichnet ja nicht nur Objekte einer materiellen und geistigen Kultur, damit umzugehen wäre noch einfach, sondern auch Abkürzungen, Titel, Feiertage u.drgl. Und sobald man den Begriff "Realie" weit fasst, kommen nominative Wortverbindungen, wie z.B. Anrede-, GruÃ- und Abschiedsfloskeln (Dear Sir/s, Schalom, gnädige Frau) hinzu, in bestimmten Kontexten auch Interjektionen und Gesten. Wenn nämlich ein Bulgare die Kopfbewegung macht, die deutsch als Nicken bezeichnet wird, meint er das Gegenteil, nämlich das Kopfschütteln zum Nein. Leichter ist es wohl zu sagen, was nicht Realien sind: Sprichwörter, idiomatische Wendungen, was nicht heiÃt, dass deren Ãbertragung dadurch leichter wird. Und schlieÃlich die Hauptsache: Eine strikte Klassifizierung ist vom Standpunkt der Ãbersetzenden auch gar nicht notwendig. Unser Thema ist ja die Umsetzung eines AS- Textes mit dem Ziel, in der Ãbersetzung möglichst viel an Lokalkolorit zu bewahren, und der Weg, den wir einschlagen, wird nicht von der Theorie, sondern immer vom Kontext, anders gesagt, von der Intention des AS-Autors, bestimmt.
Als Ãbersetzende wissen wir, dass es eingebürgerte und fremd gebliebene Realien gibt. Zu den ersteren gehören, womit wir begonnen haben, der "Samowar", der "Pub", der "Heurige", auch "Kimono", "Pizza", "Cowboy", die problemlos Verbindungen mit ZS- Wörtern eingehen können: Pizzateig, Kimonoärmel, Cowboyhut. Zu den zweiten ein "Sarafan" (ru.: bäuerlicher Miederrock) oder ein "Novio" (sp.: Bräutigam, fixer Freund). Dazwischen liegt eine breite Palette von Realien, deren Erkennen von der Sprachkompetenz und der Allgemeinbildung des/der Ãbersetzenden abhängt. Er/sie muss freilich wissen, ob ein Begriff eingebürgert ist, d.h. keiner Ãbersetzung mehr bedarf, oder mit Hilfe einer sich anbietenden Strategie in die ZS verpflanzt werden soll. Ein simples Vorgehen hilft bei der Entscheidung: man sehe in einem Rechtschreib-Wörterbuch nach (für dt. im Duden). Was da angeführt wird, ist eingebürgert. Es müssen nur neuere Editionen sein: Die Einbürgerungen schreiten rapid voran.
2. Kontext und Konnotation
Zum Thema Realien gehört ein weiterer, für die Ãbersetzenden noch subtilerer Bereich - die Konnotationen, durch die Realien fest im Kontext verankert sind. Unser Samowar beispiels- weise ist mehr als eine russische Teemaschine, das Wort steht darüber hinaus für Gemütlichkeit und für die, ach, so gute alte Zeit, und der Heurige ist mehr als eine Weinschenke, er ist samt seiner Lieder die Verkörperung der spezifischen wienerischen Leutseligkeit. Die jeweilige Konnotation wird erst durch den Kontext aktualisiert. Und wenn es ganz zu Unrecht als translatorisches Axiom gilt, dass in Bezug auf Personennamen, geographische Bezeichnungen, auch Jahreszahlen und Monatsnamen eine volle Entsprechung der lexikalischen Einheiten in verschiedenen Sprachen festzustellen und die Ãbertragung mit einer einfachen Transkription (mit evtl. Adaptation vom Typ Donau 'Danube') zu bewerkstelligen sei, so sieht das Problem aus der Sicht expressiver Texte viel komplexer aus. Selbst die Uhrzeit hat ein konnotatives Potential five o'clock(tea)- eine Realie britischen Lebens. Und gar Toponyme - dank der Geschichte gewinnen sie oft eine ungeheure Kraft. Man denke an Auschwitz, Hiroshima - die Toponyme sind historische Realien geworden, allerdings - weltweit verständlich Aber Bad IschI - wofür steht das? Wieder sagt uns der Kontext, ob die Konnotation -Kaiser Franz Josephs und des Wiener Hofes Urlaubsdomizil- in die Zielsprache (ZS) "mitgenommen" werden muss.
Und wenn schon die Realien an sich den Ãbersetzenden Schwierigkeiten bereiten, so um so mehr noch deren Konnotationen Bei der Realie ist die erste Hürde im Translationsprozess, nämlich das Identifizieren, leicht zu bewältigen, denn auch wenn man die Realie nicht kennt, erkennt man sie an ihrer Fremdheit so- wie an der Eins-zu-Null-Entsprechung in der ZS und beginnt, diverse Quellen abzufragen Hingegen sind die Konnotationen von schein- bar voll übertragbaren Wörtern meist nirgendwo aufgezeichnet, schon wegen ihrer Abhängigkeit vom Kontext, und es braucht ein groÃes Wissen um die Lebenswirklichkeit der AS-Ethnien, anders eine hohe kulturelle Kompetenz, ehe man sich auf die Suche nach der treffendsten translatorischen Lösung begibt.
3. Die Wertigkeit einer Realie
Das Erkennen einer Realie im AS-Text reicht allein noch nicht aus, unter der Vielfalt der übersetzerischen Strategien die richtige zu wählen. Diese Entscheidung hängt nämlich von der kontextuellen Wertigkeit einer Realie im AS- Text ab. Es muss also zuallererst abgewogen werden, ob diese Realie häufiger oder nur einmal im AS- Text vorkommt, ob sie für die Zeichnung der Charaktere, für die Tonalität und/oder den Plot des AS-Textes von Bedeutung ist oder lediglich ein kleines Detail am Rande darstellt und somit durch einen anderen, neutralen, meist generalisierenden Begriff wiedergegeben werden kann. Die Entscheidung ist von Fall zu Fall zu treffen. Neuerdings werden wichtige Realien einer ethnischen Einheit, die als solche von den Ãbersetzenden zu erhalten sind, gern in Glossaren am Ende eines Buches zusammengefasst.
Nach der Bestimmung der kontextuellen Wertigkeit einer Realie gilt es, den AS- Text als Ganzes unter die Lupe zu nehmen. An welche Lesergruppe wendet er sich? Kann man bei dieser Gruppe die Kenntnis dieser oder jener Realie voraussetzen? Ist es ein Reisebericht für Touristen oder einer für Ethnographen? Ist es ein Roman, ein Bühnenstück, ein Werbetext? Von der Antwort auf diese Fragen hängt es ab, ob man alle Realienbezeichnungen übernimmt und FuÃnoten dazu macht, wie in akademischen Ausgaben üblich, oder, wie bei einem Roman, ohne störende FuÃnoten auskommen muss und sich die Hinzufugung eines Glossars überlegt Und wie verfährt man beim Bühnenstück? Den handelnden Personen ist die erwähnte Realie ja vertraut, eine kommentierende Ãbersetzung würde lächerlich wirken (etwa für Sarafan. "Ach wie schön ist dein neuer russischer bäuerlicher Miedenrock!"). Erklärungen brauchen hier Regisseur, Bühnenbildner und Requisiteur - an ihnen ist es, die Realie anschaulich zu machen Und auf andere Art ist die Entscheidung beim Gedicht schwer, denn hier ist der Spielraum der Nachdichtenden wegen der Metrik von vornherein sehr eingeengt. Und auch der Werbespot verlangt maximale Kürze. Um zusammenzufassen, die eine Realie betreffende Entscheidung ist immer makro- oder mikrokontextuell bestimmt und hängt sowohl vom Texttyp als auch von der Zielgruppe ab.
4. Translatorische Lösungen
Endlich kommen wir zu den translatorischen Lösungen. Aus den verschiedenen Klassifizierungen (Koller 1979:162ff., Vlachov/Florin 1980:87ff., u.a.m.) lassen sich folgende strategische Varianten zusammenfassen:
4.1 Der Ausdruck wird unverändert als Zitatwort in die ZS übernommen. Bei Sprachen, die nicht die Lateinschrift verwenden, erfolgt dies durch Transkription für ein breites Leserpublikum oder durch Transliteration bei wissenschaftlichen Texten. Die diesbezüglichen Regeln fürs Deutsche sind im Rechtschreib-Duden festgelegt. Also: transkribiert Samowar, transliteriert Sa- movar. Fallweise erfolgt eine phonetische, morphologische, graphemische Anpassung: die Kolchose(n), die Pizzen neben Pizzas, die Westminster Abbey. Realien als Hauptwörter, die aus kleinschreibenden Sprachen stammen, schreiben sich im Deutschen (wie oben) groÃ. Handelt es sich um Abkürzungen, werden diese, wenn die ZS Deutsch ist, meist übernommen: USA, PC, PLO, GULAG, und nur selten wird die Abkürzung "dekodiert" und da- nach zu einem ZS-Kürzel gemacht: SNG ~ Sojuz Nezavisimych Gosudarstv â Gemeinschaft Unabhängiger Staaten â GUS. Andere Sprachen folgen öfter diesem Verfahren (ONU, OTAN - fr.; EE, UU- sp.). Allerdings darf man den Text mit unbekannten Zitatwörtern nicht überladen, ein Zuviel stört die Verträglichkeit.
4.2 Die Lehnübersetzung. Das immer wieder als Muster dafür zitierte Wort ist der Wolkenkratzer; zu dem der Skyscraper geworden ist. Eine Lehnübersetzung ist freilich nicht immer passend, unser Samowar z.B. wäre lehnübersetzt ein Selbstköcher; niemand verstünde, was damit gemeint ist. Gleichsam eine Untergruppe bilden Wörter, die Vlachov / Florin Halblehnwörter nennen (1980:88f.). Als Beispiel führen sie die historische Realie "Drittes Reich" an: The Third Reich und Analoges in anderen Sprachen.
Die Erschaffung eines neuen Wortes nach der semantischen Entsprechung, z.B. Siebenmeilenstiefel - seven-Ieague boots -semiverstnye sapogi (ebenfalls ein Beispiel von Vlachov / Florin). Dass die deutsche Fassung als erste da gewesen war, ist nur eine Vermutung, jedenfalls sucht sich jede Sprache ihr eigenes Längenmaà (dt. Meilen. Seemeile - ru. Werst).
4.3 Die Analogiebildung, d.i. die Verwendung eines sinngemäà entsprechenden ZS-Wortes, z.B. nach der Funktion: Home Office (en.) â Innenministerium; Ministere public Parquet (fr.) 0. Fiscalia (sp.) â Staatsanwaltschaft.
Die annähernde Ãbersetzung durch ein lexikalisch nahes Wort, häufig der Ersatz eines Artbegriffs durch einen Gattungsbegriff (in der TT Generalisierung genannt und nicht immer empfohlen). Z.B. : Izba - ein (russisches) Bauernhaus oder nach der Bauart ein Blockhaus; Kilt- (bunt karierter) Schottenrock. Wie man sieht, kann dies in Kombination mit in den Text eingeflochtenen Erläuterungen erfolgen (s. 4.4).
4.4 Die kommentierende Ãbersetzung, die Verbalisierung der latent im AS-Wort enthaltenen Bedeutungen. Ein einfaches und anschauliches Beispiel dafür bringt Levy (1969:98) aus dem Roman Rot und Schwarz, in dem Stendhal Personen nach ihrer Zeitungslektüre ( Constitutionnel vs. Quotidienne) politisch gruppiert. Da diese Zeitungstitel (und Zeitungstitel werden nie übersetzt) dem deutschsprachigen Leser kaum etwas sagen, schlägt Levy Ergänzungen vor, etwa: "X bezog den liberalen Constitutionnel... y die royalistische Quotidienne ".
Und schlieÃlich wird die Wahl der Strategie nicht nur von Texttyp und Zielgruppe bestimmt, sondern auch durch die Nähe oder Feme zwischen AS- und ZS-Kulturkreis. Dadurch, ob wir zwischen Japanisch und Deutsch oder Englisch und Deutsch übersetzen.
Strategien der Ãbersetzung
siehe: Strategie der Ãbersetzung Definition Text, S. 58
Grad der Differenzierung
• Zitat
o wörtlich übernehmen
• Lehnübersetzung
• Analogiebildung
o durch ähnliches Wort, vor allem durch ein Hyperonym
• Kommentierung der Ãbersetzung
Hermeneutik
Auszug aus Handbuch Translation: Sprachphilosophie (Hermeneutik) .
Sprachphilosophie hat zunächst nicht direkt mit Ãbersetzen zu tun, vielmehr fragt sie nach der existentiellen Bedeutung von Sprache für die Menschen Die Hermeneutik als Kunst der Deutung, der Auslegung von Texten (gr.hermeneuein ,auslegen', ,erklären') war in der griechischen Antike an die Sakralsphäre gebunden, in der ein autoritativer Wille MaÃgebliches dem Hörenden eröffnete. Davon ist heute im wissenschaftstheoretischen Bewusstsein nichts mehr lebendig, auch wenn die Hauptformen, in denen Hermeneutik später ausgebildet wurde, die Auslegung juristischer, religiöser oder klassischer Texte, den ursprünglichen normativen Sinn durchaus noch implizieren. Von Schleiermacher wurde sie als allgemeine Kunstlehre des Verstehens bestimmt und dann von Dilthey als methodologische Grundlegung der Geisteswissenschaften begriffen (vgl. Hist WB der Philos.III: 1062)
1. Der hermeneutische Wahrheitsbegriff
Die Vorstellung, dass jede objektive Erkenntnis allein durch methodische Analyse herbeizuführen sei, impliziert einen statischen Begriff von Wahrheit. Dies geht auf Aristoteles zurück, der nicht nur die bis heute gültigen Gesetze der formalen Logik entworfen hat sondern auch die Maxime aufstellte, dass man mit jedem Erkenntnisschritt ein Stück weiter auf der Leiter hin zur absoluten Wahrheit aufsteige. Mittels der Vernunft kann der Mensch die Struktur der Dinge erkennen, wie dies im Rationalismus mit seiner methodischen Beobachtung der Fakten auch durchgeführt wurde.
Im Gegensatz hierzu steht der Idealismus. Hier wird das Subjekt zum Maà aller Dinge. Besonders die Poesie wird als Ausdruck der subjektiven Schaffenskraft gesehen. Wegweisend war hier Wilhelm von Humboldt (1767- 1835). Er sieht das Denken in Abhängigkeit von der Muttersprache (Humboldt 1949:60) Sprache gilt als Ausdruck eines je eigenen, kulturspezifischen Weltbildes, und die Meinung des einzelnen ist absolut. Auch hier herrscht im Grunde die Vorstellung von einer statischen, überzeitlich ewigen Wahrheit, denn das Allgemeine und das Einzelne gehen ineinander auf. Der Subjektivismus glaubt einen direkten Zugang zur Wahrheit zu haben. Beides sind ahistorische Denkweisen, die axiomatische Vernunftmethode genauso wie der Subjektivismus, der nur die eigene Meinung gelten lässt.
Demgegenüber hat Friedrich Schleiermacher (1768-1834) deutlich gemacht, dass man den Aspekt des geschichtlichen Wandels nicht einfach ausblenden kann. Die vermeintlich apriorisch geltenden Bedingungen der Erkenntnis sind in Wahrheit ein geschichtliches Erbe, also eine historische Setzung, und andererseits kann auch das Subjekt keineswegs für sich beanspruchen, einen absoluten Zugang zur Wahrheit zu besitzen. Wenn aber Wahrheit weder methodisch noch rein subjektiv verfügbar ist, dann entsteht das Problem des Verstehens (s. Art. 18,26, 32).
Die Hermeneutik hat daher einen tiefen Bezug zur Geschichte. Aufgrund des geschichtlichen Bewusstseins muss man zugestehen, dass es keine von der Deutung der Individuen unab- hängige apriorische Erkenntnis der Sachen an sich gibt. Vielmehr ist die Welt jeweils das, als was sie den Subjekten in ihrer Kultur erschlossen wird. Und so kann intersubjektive Wahrheit nur durch Dialektik, im Diskurs, durch Zustimmung von möglichst vielen Gesprächsteilnehmern entstehen.
Das Verstehen lässt sich niemals überspringen. Auch wenn es sich mühelos einstellt, so nicht, weil etwa eine allgemeine Grammatik der Vernunft die Partner zur Produktion gleicher Bedeutungen führte, sondern darum, weil beide zu einer ganz bestimmten Weltansicht Zugang haben. So meint Schleiermacher, dass schlechthin "überall" (Schleiermacher 1977:76), wo fremde Rede mit eigener ins Verhältnis zu setzen ist, sich hermeneutische Kommunikation als eine Art letzter Instanz jeder: Sinn- und Wahrheitsbehauptung erweist. Darin gründet ihr neuerdings wieder oft diskutierter Universalitätsanspruch.
Für diesen Anspruch gibt es auÃer dem historischen auch noch ein psychologisches Argument. Der Begriff "Subjekt" ist ungeeignet, als philosophischer Ausgangspunkt zu dienen. Er ist zwar einheitlich organisiert, vermag diese Einheit aber nur als ein Aufeinanderbezogensein von auseinanderstrebenden Aspekten darzustellen, z.B. als Beziehung von Wollen und Denken. Das Selbst als innerliche Erfahrung hat einen anderen, transzendenten Seinsgrund als das Ich im Selbstbewusstsein; es ist schon vorher da und unverfüglich. In der Selbstreflexion stelle ich mich im Nachhinein gedanklich vor mich hin. Zwischen dem Selbst und dem Ich ist ein Bruch, Wollen und Denken sind nicht identisch.
Die Transzendenz des Wissensgrundes zwingt das Subjekt nunmehr, die Evidenz seiner Erkenntnisse auf dem Feld zwischenmenschlicher Verständigung zu bewähren. Und das ist wiederum das Feld der Dialektik im Gespräch. Wahrheit gibt es nur als intersubjektive Zustimmung, als Teilhabe, nicht als subjektive Setzung und nicht als objektives Ergebnis.
2. Verstehen als dialektischer Lernprozess
Wenn nun weder die Vernunft noch das sich selbst sichere Subjekt die "Wahrheit gepachtet" haben, welcher andere Term könnte denn nun den Gedanken einer rationalen Struktur mit dem des geschichtlichen Wandels und des Individuellen ohne Widerspruch zusammendenken? Hier kommen wir zum Begriff der Sprache als Gegenstand der Sprachphilosophie. Schleiermacher denkt sie als beides, sie ist das "individuelle Allgemeine". Sprache ist ein allgemeines Zeichensystem, das die Benutzer verbindet und zu ähnlicher Schematisierung des Denkens führt, und sie ist ein Medium des individuellen Ausdruckswillens. Beide Funktionen der Sprache sind nicht voneinander zu trennen und nach Schleiermacher nur durch ein Hervor- oder Zurücktreten jeweils unterscheidbar. Er meint, dass jede sprachliche ÃuÃerung doppelt markiert sei: auf der einen Seite manifestiert sie das System oder die "Totalität der Sprache" (Schleiermacher 1977:78), welche den Sprachteilnehmern Syntax und Semantik ihrer Rede (die Grammatik) identisch vorgibt; auf der anderen Seite aber "wird die Sprache erst durch das Reden" (Schleiermacher 1977:78), insofern als sie in Sinn erschlieÃenden Initiativen der Sprecher ihren Ursprung hat und jeder Sprecher an der Sprachentwicklung mitwirkt.
Zur Lösung des Verstehensproblems fordert Schleiermacher eine reflektierte, das Selbstverständliche künstlich verfremdende Einstellung, die nicht schon einer "kunstlos" geübten Praxis in den Schoà fällt. Die Gewissheit eines faktisch eingespielten Einverständnisses muss auf mögliche Unwahrheit überprüft werden. "Kritische Verfahren" (Schleiermacher 1977:464) sind an- zuwenden, um die RechtmäÃigkeit solcher "Gewissheit aus Sprachüberlieferung" zu kontrollieren Schleiermacher betont, dass "das Verstehen auf jedem Punkt muss gewollt und gesucht werden" (Schleiermacher 1977:92) In Hermeneutik und Kritik hat er viele Regeln vorgelegt, die zu einer wissenschaftlichen Fundierung des Umgangs mit Texten im Sinne reflektierter Praxis fuhren. Kritische Textstukturierung (Analyse) und verstehende Auslegung (Interpretation) ergänzen und korrigieren einander Verstehen geht einer Textanalyse (s. Art 44, 103) wegweisend voraus, ja es regt den Prozess methodischen Nachdenkens erst an. Und dann wird das Verstandene durch genauere Betrachtung der Textebene fundiert.
Hans-Georg Gadamer schlägt vor, "das hermeneutische Phänomen nach dem Modell des Gesprächs" (1960:360) zu betrachten. Der Text ist einem Leser zunächst einmal fremd. Es gilt daher, in einen Dialog mit dem unverständlich erscheinenden Text einzutreten. Dabei werden implizit Fragen an ihn gerichtet und ausgehend vom Text beantwortet. Es soll also zunächst die Fremdheit des Textes anerkannt und in Auseinandersetzung mit der eigenen Vormeinung allmählich ein Einverständnis erarbeitet werden. Um jedoch fragen zu können, muss schon ein bestimmtes Vorverständnis vorhanden sein; Verstehen ereignet sich nur auf dem Boden von Gemeinsamem, das zunächst Befremdende im Text wird in einer "Horizontverschmelzung" (Gadamer) allmählich vertraut.
3. Einführung des Begriffs Hermeneutik in die Translationswissenschaft
Wegen der begrenzten Reichweite rationalistischer Methoden und der Irrelevanz subjektivistischer Ansichten für das Ãbersetzen war Fritz Paepcke (1915~1990) der Ãberzeugung, dass Ãbersetzungen nicht vermittels bestimmter Ãbersetzungsverfahren aus der Textvorlage hergeleitet werden können, sondern auf dem Verstehen gründen, und dass das Ãbersetzen eine der erfahrungsbestimmten Aktivitäten des Menschen sei. Im Vordergrund steht die Frage nach den Verstehensprozessen des Translators als Individuum. "Wer Texte übersetzt. muss sie zunächst verstehen" (Paepcke 1979:104)
Der hermeneutische Grundsatz besteht nach Schleiermacher nun darin, "dass, wie freilich das Ganze aus dem Einzelnen verstanden wird, so doch auch das Einzelne nur aus dem Ganzen verstanden werden könne" (Schleiermacher 1977:329). Diesen Gedanken wendet Paepcke auf das Verstehen von Texten an "Dabei hat der Gesamtinhalt des Textes den Vorrang vor den Einzelwörtern, und die Freiheit der Wiedergabe zeigt sich nicht in der Identität von Text und Ãbersetzung, sondern in der Genauigkeit [.]" (Paepcke 1979:108).
Texte sind in ihrer Sprachstruktur "auch nicht notwendig homogen, sondern vereinigen in sich eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente und Zeichenfunktionen, was mit der Bezeichnung Multiperspektivität zum Ausdruck gebracht werden soll" (Stolze 1992:44), und schlieÃlich hat jeder Text eine unverwechselbare "Individualität" (Paepcke 1979:103).
Für das Ãbersetzen folgt daraus, dass die Textbotschaft nicht an der Summe der sprachlichen Zeichen selbst abgelesen werden kann, denn durch den Text wird nicht nur die Bedeutung seiner sprachlichen Elemente, sondern gleichzeitig etwas darüber Hinausweisendes, der individuelle Sinn, die Ãbersummativität des Textes verstanden. Im Bereich des Ãbersetzens gibt es dabei verschiedene Perspektiven auf den Vorgang.
4. Ãbersetzen als gestaltende Aneignung
Wenn "im Verstehen immer so etwas wie die Anwendung des zu verstehenden Textes auf die gegenwärtige Situation des Interpreten stattfindet" (Gadamer 1960:291), dann ist das Problem der Hermeneutik die Applikation der Texte. Das Ãbersetzen ist eine solche "Anwendung", und es ist als Mittlertätigkeit an die Existenz eines Individuums gebunden. "Als Ãbersetzer er- schlieÃt er einen Text, indem er ihn an den Leser heranbringt und im Medium der Leibhaftigkeit beim Leser vergegenwärtigt. In dieser Sicht hält das Ãbersetzen den Text in ganzer Breite offen, es stellt ihn vor, und im tentativen Erproben aller Möglichkeiten entsteht die Ãbersetzung, wenn beim Ãbersetzen die jeweils vorausgehende Ãbersetzung durch einen neuen Entwurf abgelöst wird" (Paepcke 1986:XVIlI). So bringt sich der Ãbersetzer selbst ganz in diesen Vermittlungsakt ein. Er sucht sich die Textmitteilung anzueignen, und dabei wird deutlich, wie stark das Verstehen von dem vorhandenen Vorwissen abhängt. Deswegen kommt der Ãbersetzer nicht ohne eine Wissensbasis an fachlichen und kulturellen Kenntnissen aus. Das zunächst intuitiv Verstandene wird er dann anhand der Textstrukturen zu erläutern haben
Den Gedanken der Aneignung veranschaulicht vielleicht der Begriff der "Mimesis", den Aristoteles von Plato übernommen und zur allgemeinen Kategorie des künstlerischen Darstellens gemacht hat. Mimesis bedeutet die Vergegenwärtigung vorgegebener oder eigener Gedanken im Sinne der Nachgestaltung. Identifikation mit der Botschaft schafft dabei Texttreue, denn der Ãbersetzer ist erkennend und formulierend am Gegenstand des Textes beteiligt, er "steht dahinter". Er macht sich zum Anwalt der Sache, um in die Lage versetzt zu werden, überzeugend in der Zielsprache (ZS) darüber zu reden. Hierzu bedarf es des anteilnehmenden Interesses.
5. Ãbersetzen als kreatives Sprachverhalten
Das Textverständnis erfüllt sich dann in der Sprachgestalt der Ãbersetzung. Hier sollte man an den Gedanken Schleiermachers erinnern, dass Denken und Wollen im Subjekt zwar aufeinander bezogen, aber auch unaufhebbar getrennt sind. Das Wollen fuhrt nicht logisch notwendig zum entsprechenden Handeln. Wir wollen etwas sagen, das Wort liegt uns auf der Zunge, aber es gelingt nicht. Andererseits steigen Gedanken und Formulierungen unwillkürlich in uns auf, wir haben kreative Einfalle und wissen nicht, woher.
Aus diesem Grunde spricht man hier von Geglücktsein, Kreativität und von Spiel. Die Kritik spielerischer Sprachfunde mit Hilfe der Rhetorik ist dann beim Ãbersetzen erst der zweite Schritt, freilich ein unverzichtbarer.
Es bleibt also die Frage, ob die Sprache im Ãbersetzer ihr Subjekt gefunden hat. Der bewegt sich wie ein Mitspieler im Medium von zwei Sprachen, deren Mittel sich nicht decken. Ãbersetzen ist dann immer aufs neue die Suche nach Sinn bewahrenden Formulierungen in der anderen Sprache, es ist ein Handeln "zwischen Regel und Spiel" (Paepcke 1981:121). Das Sprachverhalten beim Formulieren der Ãbersetzung ist dabei von linguistischen Regeln, aber auch von kreativem Spiel geleitet, wobei selbst "die Anwendung der Regeln keine Regel kennt [und nicht etwa wie] die unerbittliche Notwendigkeit des Gesetzes ausnahmslose Geltung hat" (Paepcke 1981:124).
Wesentlich ist der Gedanke, dass das Ãbersetzen auf der Freiheit des Formulierens gründet. Eine geglückte Ãbersetzung ist einprägsam, setzt Affekte frei, schafft einen Zugang zur Sache hinter dem Text "Denn das Ãbersetzen von Gedichten ist geglückt, wenn die Ãbersetzung zum Lesen des Gedichts führt und verführt und der Leser dabei Vergnügen und Erkenntnis erfahrt" (Paepcke 1981:54).
6. Ãbersetzen als verantwortete Vermittlung
Im Sinne der hermeneutischen Sprachphilosophie wird der Ãbersetzer mit seiner Ãbersetzungskompetenz sehr ernst genommen. Es wird ihm zugetraut, dass er einen Text, eine Mitteilung, richtig verstehen und sie überzeugend wiedergeben kann. Und weil die Ãbersetzung als sprachliche Formulierung nicht unmittelbar aus der Vorlage herleitbar ist, bleibt ihm auch die Aufgabe des kreativen Formulierens.
Beim Ãbersetzen wird sich der Translator bewusst, wie er selbst zwischen den Welten der Ausgangssprache und Kultur sowie der ZS und Kultur steht und an beiden Anteil hat (s Art. 30).
Im Sinne der Hermeneutik muss er sich aber auch sein Handeln bewusst machen und es kritisch reflektieren. Als Teil der translatorischen Kompetenz können daher linguistische Kategorien beschrieben werden (vgl. Stolze 1992:89ff), die wie bei Schleiermachers hermeneutischem Kanon zur Erklärung und Präzisierung des Verständnisses und der Mitteilbarkeit dienen.
Weil das Ãbersetzen im Formulieren ein Sprachverhalten ist, werden Kategorien aus der Linguistik wie Thematik, Semantik, Lexik, Pragmatik, Stilistik genannt, mit denen die Ãbersetzungslösungen erläutert und begründet werden können. Eine Kurzdarstellung findet sich in Stolze (1997:240-246). Sie sollen in unterschiedlicher Verknüpfung für alle Textarten anwendbar sein, denn sie dienen der Sensibilisierung des Translators für Textaspekte, die es in der Ãbersetzungspraxis zu beachten gilt
7. Stimmigkeit zwischen Text und Ãbersetzung
Verstehen und Formulieren beim Ãbersetzen sind stets am Textganzen ausgerichtet, und Ausgangs- (AT) und Zieltext treten als jeweils Ganze in ein Verhältnis der Stimmigkeit zueinander. Stimmigkeit meint die Teilhabe der beiden Texte an der gemeinsamen Wahrheit der Textbotschaft. Betrachtet man diese nun horizontal, im übersetzungskritisch üblichen Vergleich einzelner Texteinheiten, dann sind oft nur Abweichungen festzustellen. Die Einzelsprachen sind ja unterschiedlich aufgebaut, und wo die eine polysemantische Vielfalt aufweist, hat die andere einen Mangel. Das hat die kontrastive Linguistik (s Art. 19) gezeigt. Deswegen kommt in der Ãbersetzung etwas, was an einer Stelle des AT vorhanden war, zieltextuell an einer anderen Stelle vor. Es ist in hermeneutischer Sicht unerheblich, ob wörtliche oder nichtwörtliche Ãbersetzungen vorliegen, entscheidend ist das Textganze.
Weil Ãbersetzungen stets den Sprachstand des Ãbersetzers dokumentieren, sind sie auch viel zeitgebundener als Originale. Ãbersetzungen sind oft nur vorläufig, können veralten, müssen überarbeitet werden. Diese "Unzulänglichkeit" befreit allerdings den Ãbersetzer auch vom zwanghaften Streben nach dem Absoluten einer Musterübersetzung und gibt ihm sprachliche Gestaltungsfreiheit in der ZS. Dazu braucht es natürlich auch den Mut zur Kreativität.
Definition: Oberbegriff und distinktive Merkmale
Oberbegriff: Pflanze
distinktive Merkmale: krautig; milchiger Saft
Zweck: schwarze Wurzel zum Essen
reduktionistische Theorie:
• Wort wird auf Merkmale reduziert
• Checkliste – Checklistentheorie
o bachelor: Junggeselle
ï§ männlich +
ï§ erwachsen +
ï§ unverheiratet –
o spinster: alte Jungfer
ï§ erwachsen +
ï§ unverheiratet –
ï§ männlich –
• Wort besteht nicht nur aus Denotation, sondern auch aus Konnotation
(Prüfungsfrage z.B.: Welche Bedeutung hat die Checklistentheorie für die Ãbersetzung?)
Checkliste
270 Jahre aus Psychologie: die Prototypensemantik
• man denkt bei Wörtern nicht an distinktive Merkmale, sondern hat verschwommene Ränder und Kern im Kopf
o z.B.: Prinz William: bachelor
ï§ unverheiratet –
ï§ männlich +
ï§ zu haben +
o Stuhl â Sessel
o bird â Vogel
ï§ kulturspezifische Sicht des Vogels
ï§ Ãsterreich: Spatz
ï§ GB: Rotkehlchen, Singvogel, klein
• prototypische Bedeutung ist kulturspezifisch
• Prototypensemantik:
o Bedeutung kann erst im Gesamtzusammenhang einer Situation angeben.
o Gestalt:
ï§ eine Einheit ist mehr als die Summe der Teile
• Gesamtheitlichkeitsprinzip
• kalistisches Prinzip
• scenes
o erlebte Situation
o Vorstellung im Kopf
o Wort erhält Bedeutung durch Erlebnis
• Frame
o sprachliche Codierung oder Form
• Scenes und Frames aktivieren sich gegenseitig durch Assoziationen. Eine Scene kann ein frame, ein anderes Scene auslösen.
• Ein Frame kann ein scene, ein anderes Frame auszulösen.
o Ich muss etwas verstanden haben, um etwas zu aktivieren und um es übersetzen zu können.
o Bild wird in einer bestimmten Situation wachgerufen, woanders eingebettet, zu einem sinnvollen Gebilde ausgebaut.
o Alles hat eine Vorgeschichte, der Zusammenhang wird in das Leseerlebnis eingebaut.
o Beim Verstehen wird eine Teilwelt geschaffen, die vom Ãbersetzer und seiner Erfahrung abhängt.
o Präsupposition: vorausgesetztes Vorwissen des Lesers
ï§ Festlegung von Perspektiven
Beim Ãbersetzungsprozess
• AT-Autor â Leser (Ãbersetzer) â Zieltextleser
• Ãbersetzer liest Text in vorgegebenem frame
o sprachliche Komponenten: Wörter
o Gesamtframe: Text
• Leser liest Gesamtframe und kleine Frames
o Wörter, verschiedene Sätze und Bilder lösen beim Lesen kognitive Scenes aus
• Kultur und Sachwissen können von Intention des Autors abweichen.
o Man geht von erfassten Frames aus und sucht dann bei der Ãbersetzung passende zielsprachliche Frames: Entscheidungsprozess
• kreativer Empfänger
o er selbst bringt sein prototypisches Weltwissen ein
ï§ je weniger Wissen, umso eindimensionaler
ï§ je mehr Wissen, desto vielschichtiger
ï§ er schafft eine eigene Scene hinter dem Text
• dynamisches Konzept der Ãbersetzung
Bsp. aus Sachbuch: catfish – Wels, Katzenfisch (gibt es im Dt. nicht)
• Auch Namen sind Frames.
• Catfish ruft Scene hervor.
• Wels ist kein prototypischer Fisch bei uns, catfish in den USA aber schon.
• Der Versuch muss unternommen werden, im Dt. ein prototypisches Bild zu finden, dass kohärent ist.
o z.B. Karpfen
Karpfen, in dem ein spitzer Angelhaken steckt. (Jemand steckte in einer schwierigen Situation.)
a right sharp hook – ein besonders spitzer Angelhaken
Ãbersetzung mit Oberbegriff besser als Ãbersetzung mit sinnlosem Begriff.
blaue Banane: fr.: la banane bleue: Satellitenbild Europas – wichtigster Teil der EU von Manchester bis Mailand, viele Lichter, wichtigste Industrieregion.
Schwierig zu übersetzende Metapher.
Wörter bekommen eine zweite eigene Bedeutung.
Im deutschen Sprachraum hat die Hermeneutik eine besondere Tradition:
Friedrich Schleiermacher: 1768-1834
Zeit der Frühromantik, Blütezeit der Ãbersetzung in Deutschland
Hermeneutik und Kritik
Analyse (kritische Textstrukturierung) und Interpretation (verstehende Auslegung) ergänzen sich.
Das Verstehen einer Textstelle ist nur aus Gesamtkontext möglich.
Das Verstehen eines Autors ist nur möglich, wenn man den Hintergrund (Nationalität und Zeitalter) kennt.
Damals hatte „Nationen“ eine positive Konnotation, heute nicht mehr.
Er dachte an das Ãbersetzen der Griechen, insbesondere an Plato.
Fillmore:
• amerikanischer Linguist
• 19.Jh. andere Philosophen wie z.B. Schopenhauer
• 20.Jh. für Ãbersetzungstheorie Hans Georg Gadames „Wahrheit und Methode“
• beschreibt seine Auffassung des Verstehens nach Modell des Gesprächs.
• Der Leseprozess ist wie ein Dialog zwischen Leser und Text.
• Text ist zunächst fremd, aber der Leser hat eigenes Verständnis und wird dadurch mit Information, Aussage vertraut.
• Horizont des Textes nähert sich. Horizont des Lesers bis es zu Horizontverschmelzung kommt (= Leser hat Text verstanden).
Fritz Paepcke
• 1916 – 1990
• hat Idee von Gadames aufgenommen
• war bei Neuorientierung der Ãbersetzungswissenschaft in den 60ern und 70ern aktiv
• Idee der Gestalt: mehr und anders als ??
• Text ist mehr als die Summe der Wörter und Sätze
o Ãbersummativität des Textes
ï§ multi-perspektivisch
ï§ Multiperspektivität
• Ein Text vereinigt viele oft widersprüchliche Elemente.
• Kreatives Sprachverhalten: Ãbersetzung nach Paepcke
o Handlung zwischen Regel und Spiel
ï§ Regel: Sprachregeln
ï§ Spiel: das, was man mit dem Text machen kann
o In the beginning (statt „at) – scene: Bibel
o Megalopolis: Ballungszentrum, Ansammlung von Städten
Auszug aus Handbuch Translation: Semantik
1. Strukturelle Semantik
Was Wörter, Sätze und Texte bedeuten, ist vermutlich die im Ãbersetzungsunterricht und in der Ãbersetzungspraxis am häufigsten gestellte Frage. Die Ãbersetzungswissenschaft hat sich von Anfang an mit ihrer Beantwortung beschäftigt. Dabei spielte die strukturelle Semantik, genauer die Merkmalanalyse, eine wichtige Rolle. Die wegweisenden Arbeiten von Nida (1964, 1975) und Nida/Taber (1969) sind dafür inzwischen klassische Beispiele aus dem angelsächsischen Bereich. Auch in Deutschland erschienene Arbeiten zur Ãbersetzungswissenschaft haben die strukturelle Semantik integriert, so die Arbeiten der "Leipziger Schule", z.B., Neubert /Kade (1973), ferner Koller (1979), Wilss (1977) und mit Modifikationen auch Hönig / KuÃmaul (1996). Dies gilt auch für den Bereich der Fachsprachen und der Terminologie, z.B. für Arntz/Picht (1991).
Die strukturelle Semantik hat für die Ãbersetzungswissenschaft die wichtige Erkenntnis gebracht, dass sich die lexikalischen Systeme zweier Sprachen in vielen Fällen nicht entsprechen und dass es demzufolge Bedeutungsüberlappungen mit daraus resultierenden Konvergenzen und Divergenzen gibt. Wenn wir z.B. den Satz "Sie hat sich eine Schildkröte gekauft" ins britische Englisch übersetzen, so müssen wir überlegen, ob eine Wasserschildkröte (turtle) oder eine Landschildkröte (tortoise) gemeint ist, d.h. ein im Deutschen in Alltagssituationen meist nicht spezifiziertes Tier muss im Englischen spezifiziert werden. Häufig gibt es auch sog. Null-Entsprechungen. Das englische Wort cereals hatte bis vor kurzen im Deutschen kein lexikalisches Ãquivalent, konnte aber in einem Frühstücks-Kontext mit mehreren Unterbegriffen, z.B. Cornflakes, Crunchy Nuts und Smacks wiedergegeben werden. Neuerdings findet sich auf entsprechenden deutschen Packungen der Oberbegriff Cerealien.
Die von Nida und seiner Schule (z.B. Larson 1984) propagierte Ãbersetzungsmethode besteht dann, nicht Wörter zu übersetzen, sondern Bündelungen semantischer Merkmale (Nida 1974:46). Im Zusammenhang damit steht der für die heutige Ãbersetzungswissenschaft zentrale Begriff der" Transposition" oder "Ausdrucksverschiebung" (vgl. Wilss 1977:115ff.) und "translation shift" (Catford 1965:73ff). Denn wenn wir Bündelungen semantischer Merkmale übersetzen, lösen wir uns in einem Abstraktionsschritt notwendigerweise von der ausgangssprachlichen Wortform und können dann die abstrahierte Bedeutung in die GefäÃe anderer zielsprachlicher Formen - häufig Paraphrasen - gieÃen. Nida zeigt dies an Beispielen aus der Bibelübersetzung. Das Wort Vergebung hat die Komponenten (1) tadelnswerte Handlung; (2) Entscheidung des Betroffenen, diese Handlung als nicht geschehen zu betrachten; (3) Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Dieses Merkmalbündel lässt sich in der Navaho-Sprache wiedergeben mit jemandem seine Sünde zurückgeben (Nida 1974:47).
2. Prototypensemantik
Dieser Theorie liegt die empirisch getestete Hypothese zugrunde, dass bei den sprachlichen Verstehens- und Produktionsprozessen im menschlichen Gehirn nicht eine Liste von deduktiv, analytisch und formallogisch bestimmbaren semantischen Merkmalen "abgehakt" wird, wie dies die Merkmalsemantik, vor allem die generative Semantik, suggeriert, sondern dass unser sprachliches kategoriales Denken in entscheidendem MaÃe von unseren Erfahrungen bestimmt wird Sie besagt, dass Kategorien einen Kern und unscharfe Ränder (fuzzy edges) haben.
Die Prototypensemantik ist eng mit dem Namen Eleanor Roch (1973) verbunden. Roschs Beispiele sind inzwischen "klassisch" geworden. Befragt man englische Sprecher zur Kategorie "Vogel" (und bei deutschen Sprechern wäre das wohl ähnlich), so stimmen sie darin überein, dass z.B. Rotkehlchen oder Sperlinge für diese Kategorie typischer sind als Pinguine oder StrauÃe. Ein Pinguin ist kein Prototyp eines Vogels, er ist eher am Rand dieser Kategorie angesiedelt. Was als Prototyp gilt, ist kulturbedingt. Es ist durchaus denkbar, dass StrauÃe bei den Steppenvölkern Afrikas zum täglichen Erfahrungsbereich und damit zum Kern der Kategorie Vogel gehören.
Was bedeutet dies für das Ãbersetzen? Wichtig ist die Erkenntnis, dass die Unschärfe von Wortbedeutungen kulturbedingt ist. So haben z.B. en bedroom und dt. Schlafzimmer einen gemeinsamen Bedeutungskern - das wesentliche Möbelstück ist ein Bett, eine Schlafcouch oder etwas Ãhnliches -, doch das zusätzliche Mobiliar und die Funktion des Zimmers ist in der angelsächsischen und in der deutschen Kultur verschieden, was sich z.B. darin zeigt, dass bedroom in englischen Immobilienannoncen dazu dient, die GröÃe eines Hauses oder einer Wohnung anzugeben (3-bed-roomed flat for sale ), in Deutschland dagegen nicht. Je nachdem, was von den Bedeutungsrändern in einem spezifischen Kontext aktualisiert wird, muss bedroom mit Zimmer; Kinderzimmer; Jugendzimmer oder Schlafzimmer übersetzt werden (vgl. KuÃmaul 1994, 1995).
3. Scenes-and-frames-Semantik
Der Ausgangspunkt ist auch in diesem Modell eine prototypische, erfahrungsbedingte Bedeutung von Wörtern, aber diese Bedeutung ist nicht etwas Statisches, wie es die Metapher vom Kern und den Rändern nahe legt, sondern sie wird durch die Kommunikationssituationen und den Kontext beeinflusst, ja oft sogar durch diese geschaffen. Fillmores (1977) prototypische Szenen (scenes), d.h. die Vorstellungen in unseren Köpfen, sind begrenzt durch die Rahmen (frames), d.h. die sprachlichen Formen.
Die Rahmen werden sozusagen durch die Szenen gefüllt. Dies entspricht dem inzwischen gängigen psycholinguistischen Modell (s Art 18) der Bottom-up- und Top-down-Prozesse. Das von auÃen auf uns zukommende sprachliche Material löst Vorstellungen in unserem Gehirn aus, die bis zu einem gewissen Grade bereits vorhanden sind. Das Scenes-and-frames-Modell scheint als Erklärungshypothese für die Verstehens- und Reverbalisierungsvorgänge beim Ãbersetzen gut geeignet zu sein (Snell Hornby 1988, Vermeer/Witte 1990, KuÃmaul 1994,1995).
Dies lässt sich an dem eingangs benützten Beispiel zeigen. Der Satz "Sie hat sich eine Schildkröte gekauft" ist sozusagen ein sehr groÃer Rahmen; es passt viel hinein. "Sie" kann eine erwachsene Frau oder ein kleines Mädchen sein. Ist eine erwachsene Frau gemeint, mag sie vielleicht Schildkröten als Haustiere, oder sie interessiert sich als Biologin für die Tiere, eventuell für bestimmte Arten. Die Ãbersetzung ins Englische ist offen - turtle oder tortoise - wir sind unentschlossen und hätten gerne noch mehr Informationen Wenn wir aber einen Satz hören wie "Sie hat ihrer kleinen Tochter eine Schildkröte gekauft", dann ist der Rahmen kleiner. Die prototypische Szene, die sich die meisten Hörer vorstellen, ist eine Schildkröte als Spieltier für die Tochter - also typischerweise eine Landschildkröte. Die Ãbersetzung ins Englische lautet dann tortoise Natürlich hat auch eine solche Szene unscharfe Ränder die, ist der Zusammenhang mit der Prototypensemantik -, denn der Rahmen ist ja nicht völlig maÃgefertigt - es würde auch etwas anderes hineinpassen, d.h., der Kontext ist nicht völlig determinierend. Vielleicht mag ja die Tochter, wie wir später erfahren, gerade Wasserschildkröten. Der nachfolgende - oder auch der vorausgehende - Kontext kann den Rahmen verändern.
Selten gibt es nur eine einzige Möglichkeit, etwas zu verstehen und zu übersetzen Es gibt nur mehr oder weniger plausible Interpretationen und Ãbersetzungen (s Art. 18, 32, 47).
Die bisher vorgestellten Modelle konzentrierten sich vor allem auf einzelne Wörter und ihre Bedeutungen. Im Folgenden soll nun noch ein Modell präsentiert werden, bei dem gröÃere Einheiten in den Blick kommen.
4. Sprechakttheorie
Der Begriff "Sprechakt" lenkt den Blick auf die ÃuÃerung als linguistische Einheit. ÃuÃerungen beziehen sich auf Sachverhalte. Damit beschäftigen sich die bereits vorgestellten Modelle und die Sprechakttheorie übernimmt dafür den aus der Logik stammenden Begriff "Proposition" (Searle 1969). Die Sprechakttheorie konzentriert sich nun allerdings nicht auf die Proposition, sondern auf die mit einer ÃuÃerung intendierte Absicht, die sog lllokution (Austin 1962 und Searle 1969). Diese Unterscheidung lässt sich gut anhand der indirekten Sprechakte (Searle 1975) erklären. Die ÃuÃerung "Hier zieht's" - ein inzwischen klassisches Beispiel - ist, obwohl als Aussagesatz formuliert, in den meisten Fällen keine Feststellung über den Sachverhalt (die Proposition), dass in ein cm Raum eine Luftbewegung herrscht, sondern hat die Illokution einer Aufforderung, das Fenster/die Tür zu schlieÃen.
Mit Verstehensschwierigkeiten und damit auch Ãbersetzungsschwierigkeiten ist immer dann zu rechnen, wenn die sprachlichen Mittel zur Wiedergabe der Illokution, die Illokutionsindikatoren, sich auf den ersten Blick nicht eindeutig einem bestimmten Sprechakt zuordnen lassen. Dies ist z.B. bei englischen Satzadverbien wie in fact, actually, indeed, anyway usw. (vgl. KuÃmaul 1978 und Hönig/KuÃmaul 1996) und bei deutschen Partikeln wie ja, doch, eben, mal usw. (vgl. Weydt 1969) der Fall. Die Illokution muss dann aus dem Kontext erschlossen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Formen häufig keine formalen Ãquivalente in der Zielsprache (ZS) haben. Auch die bei den Sprechakttheoretikern so beliebten, weil den jeweiligen Sprechakt explizit machenden, performativen Verben (Searle 1969, 1976) sind gelegentlich nicht so eindeutig, wie sich die Theoretiker dies wünschen. So führt z.B. en. suggest häufig zu Ãbersetzungsfehlern, weil seine Polysemie 1."vorschlagen" 2. "These aufstellen") nicht erkannt wird
Ãbersetzungsprobleme gibt es nicht nur auf der Ebene des Sprachsystems, sondern auch im Bereich von Gebrauchsnormen. In Textsorten (s Art 17) als Realisationen von Gebrauchsnormen (s Art. 20) muss damit gerechnet werden, dass die Verwendung von Illokutionsindikatoren durch Konventionen veredelt ist, und diese Konventionen können in den einzelnen Sprachen unterschiedliche Formulierungen erfordern. Je nach Fachtextsorte ist mit unterschiedlichen Illokutionsindikatoren für ähnliche oder gleiche Sprechakte zu rechnen. Ein direktiver Sprechakt (zur Klassifikation s. Searle 1976, s. auch Art. 19) wird je nach Fachtextsorte unterschiedlich indiziert, z.B. in deutschen Bedienungsanleitungen (s. Art. 54) je nach spezifischer Umgebung mit dem Infinitiv, mit Passivkonstruktionen, mit dem Imperativ, mit ist zu und mit müssen, in deutschen behördlichen Verordnungen dagegen wohl ausschlieÃlich mit ist zu, in Mahnschreiben mit wir bitten sie... (vgl. KuÃmaul 1990, 1995). AuÃerdem spielen bei direktiven Sprechakten Konventionen der Höflichkeit (häufig in Form von Indirektheit wie im obigen Beispiel) eine wichtige Rolle (s. Art. 53). Die Kenntnis dieser Konventionen ist für den Fachübersetzer unerlässlich.
Texte sind Abfolgen von Sprechakten. Aus der Summe der Sprechakte ergibt sich die illokutionäre Struktur des Gesamttexts. Diese "Textakte" (Hatim/Mason 1990:78ff.) muss der Ãbersetzer erkennen und die ZS-Mittel dafür finden. Bei Werbetexten (s. Art. 65) z.B. geht es darum, die persuasive Gesamtstruktur zu er- kennen, obgleich die einzelnen Sprechakte im Einzelfall dem Typ "Feststellen", "Informieren", "Erklären", "Spezifizieren" usw. zugeordnet werden können.
Es ist inzwischen ein Gemeinplatz der Translationstheorie, dass es beim Dolmetschen par excellence um die Loslösung von der sprachlichen Oberflächenstruktur und um die Wiedergabe des Gemeinten geht (s. Art. 95, 96). In diesem Zusammenhang kann gerade die Sprechakttheorie hilfreich sein, denn sie zeigt uns, vereinfacht gesagt, wie wir sofort einen kommunikativ sehr wichtigen Aspekt einer ÃuÃerung erkennen. So ist es z.B. beim Konsekutivdolmetschen hilfreich, die Illokution einzelner Redeabschnitte zu verstehen und zu notieren (Hönig 1992). Beim Gesprächsdolmetschen kann die richtige Wiedergabe der Illokution entscheidend für den Erfolg der Verhandlungen sein. Bei falscher Illokutionswiedergabe droht unter Umständen der Verhandlungsabbruch (Hatim/Mason 1990:63f.).
Pragmatik
• Translation und Text: S.71-75
• Dressler: Kapitel 4, Nr.1
• Dressler: Kapitel 23.1.1. – Ãbersetzungswissenschaft
o behandelt die Beziehungen einer sprachlichen ÃuÃerung zu den Kommunikationspartnern
ï§ Textsender
ï§ Textproduzent
ï§ Textadressaten
o und dem, was sonst in der Kommunikationssituation anwesend ist
o kommunikative Wirkungsäquivalenz im Sinne der Pragmatik
ï§ alte Ãbersetzungswissenschaft
• Dressler Kapitel 29.10.
o Pragmatische Wende der 70er nach Ludwig Wittgenstein
ï§ Bedeutung der Sprache = Sprachgebrauch
o Sprachverwendung und Diskursanalyse
• Duden: linguistische Disziplin, die das Sprachverhalten, das Verhältnis zwischen sprachlichen Zeichen und Benutzern von Zeichen, beschreibt
o Lehre vom sprachlichen Handeln
• Pragmatik ist Teil der Semiotik (allgemeine Zeichenlehre)
o Sprachzeichen repräsentiert etwas anderes als sich selbst
Semiotische Triade:
• Pragmatik
o Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen und Benutzern
• Semantik
o Beziehungen zwischen Zeichen und den mentalen Abbildern im Bewusstsein
• Syntaktik
o Beziehungen zwischen den Zeichen selbst
Sprachliche Zeichen sind kulturspezifisch, bei verschiedenen Kulturen geht’s um verschiedene Zeichen.
„Thank you“, „Sorry“ öfter verwendet als im Deutschen
„Wir danken für Ihr Verständnis“ – „We apologize for any inconvenience.“
ist das, was in der Situation gesagt wird
Ãbersetzungsproben, die über Transkodierungen hinausgehen.
Sprechakte werden in verschiedenen Kulturen unterschiedlich eingesetzt
Gebrauchsnorm der Sprache: konkrete Texte, konkreter Diskurs in realer Situation
John Austin (Schüler von Wittgenstein): VOs in Oxford 1962 veröffentlicht: „How to do things with words“ – Sprechakte definiert (Sprache = Handlungen)
Situation muss stimmen, damit Handlung Gültigkeit hat („Im Namen des Volkes“).
Ãffentliche Direktiven
• eine von einer übergeordneten Stelle gegebene Weisung
• z.B. Verkehrsschilder
o 50er Jean Paul Vinay & Darbelnet waren die ersten, die Paralleltexte verstanden und angewandt haben
ï§ Achtung! Rutschgefahr!
ï§ Slippery when wet.
• Deutsche Direktiven: unpersönlich und sachorientiert
• Englische Direktiven: interaktional und adressatenorientiert
o Adressat wird in seiner situativen Rolle identifiziert
o Warnungen und Verbote werden mit Imperativ und Modalverben ausgedrückt
o Passengers must not cross the line (Ãberschreiten der Gleise verboten)
o Be aware of pick-pockets.
o at the owner’s expense – kostenpflichtig
o Keep left!
Auszug aus Handbuch Translation: Kontrastive Linguistik
1. Sprachsystem vs. Text
Ferdinand de Saussures Unterscheidung zwischen dem abstrakten Sprachsystem (langue) und der konkreten ÃuÃerung bzw. dem Text (parole) leitete die moderne Linguistik ein. Diese verstand sich zunächst ausschlieÃlich als Wissenschaft der langue, des Sprachsystems, das als Code losgelöst von der auÃersprachlichen Realität" untersucht wurde. Folgerichtig verstand sich die Ãbersetzungswissenschaft - damals noch Teil der Angewandten Linguistik - als linguistische Transkodierung oder Substitution, wobei eine Kette von Zeichen oder Einheiten durch eine Kette äquivalenter Zeichen oder Einheiten in der Zielsprache (ZS) ersetzt wurde (Koller 1972) Somit stand für die Theoretiker der Ãquivalenzbegriff im Mittelpunkt der Diskussion, wahrend die Praktiker sich mit den "Techniken des Ãbersetzens" - meist auf Wort- und Satzebene –auseinandersetzten.
Heute steht es auÃer Frage, dass - zumindest im Bereich des Humanübersetzens nicht Sprachen und nicht Systeme, sondern Texte übersetzt werden, und dass diese mehr und qualitativ anders sind als die Summe ihrer sprachlichen Teile(s. Art 17,31). Die kontrastive Linguistik hingegen funktioniert vor allem auf der langue-Ebene und vergleicht Elemente verschiedener Sprachsysteme, wie z.B. Präpositionen oder Wortfelder, theoretische Aspekte wie die Negation oder grundlegende Fragen wie allgemeine Typologien. Wichtig für den Translator ist die Einsicht, dass sie nicht fertige Lösungen oder unmittelbar einsetzbare Ãquivalente bietet, sondern Begriffe als Hilfsmittel im translatorischen Entscheidungsprozeà zur Verfügung stellt. Ein besonderes Potential haben dabei (1) Begriffe der kontrastiven Grammatik, (2) Modelle der lexikalischen Semantik (Wortfelduntersuchungen) und (3) Erkenntnisse aus der kontrastiven Pragmatik.
2. Kontrastive Grammatik
Die Möglichkeiten einer spezifisch übersetzungsrelevanten kontrastiven Grammatik sind bislang kaum untersucht worden, obwohl innerhalb der Fremdsprachendidaktik einzelne Arbeiten vorliegen (für Französisch-Deutsch Zemb 1984, für Spanisch-Deutsch Cartagena/ Gauger 1989). Der Wert für den Ãbersetzer bleibt jedoch gering, wenn nur Strukturen oder realitätsfremde Mustersätze nebeneinander gestellt werden, vielmehr müsste man durch die Ergebnisse empirischer Studien abstrakte Begriffe oder Konzeptionen erarbeiten, deren unterschiedliche Realisierungen in der natürlichen Verwendung verschiedener Sprachen untersuchen und sie erst dann in der Textproduktion umsetzen. Nehmen wir als Beispiele zwei Bereiche (die Konzeption der Satzfokussierung und den Begriff der "Prämodifikation") aus der deskriptiven Grammatik des Englischen von Quirk et al (1985), die aus den Ergebnissen millionenfacher Daten des GroÃprojekts "Survey of English Usage" erarbeitet wurde.
2.1 Satzfokussierung: End-focus und End-weight
Im Englischen gilt laut Quirk / Greenbaum (1973:410) das Prinzip des End-focus d.h. neue, also fokussierte Information erscheint normalerweise am Satzende Ebenfalls ans Satzende gehören längere, komplexe Satzteile. das Prinzip des End-weight. Das ist im Deutschen nicht unbedingt der Fall, wie die Sätze (a) und (b) des folgenden Textbeispiels zeigen.
Die Schweiz (...) ist eines der führenden Reiseländer der Erde.
(a) Dazu haben ihre günstige geographische Lage im Herzen Europa, die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Bewohner, die sich schön früh auf den Fremdenverkehr eingestellt hatten, und der besondere Reiz ihrer landschaftlichen Schönheit beigetragen
(b) Ein dichtes, gut ausgebautes Netz von Bahnlinien und StraÃen überzieht das Land (Einleitung Polyglott-Reiseführer Schweiz)
Kursiv gedruckt sind hier die komplexeren, längeren Satzteile sowie die neue Information. Typische Ãbersetzungsversuche im Unterricht (mit Interferenzen aus dem deutschen Sprach- gebrauch) lauten wie folgt"
(a) ? lts favourable geographical position in the heart of Europe, the proverbial hospitality of its inhabitants, who soon adapted to tourism, and the special charm of its scenic attractions, have contributed to this.
(b) ? A dense and well developed network of railways and roads covers the country.
Ein idiomatischer englischer Satz entsteht allerdings wenn (v.a bei (a) End-weight und (bei (a) und (b)) End-focus hergestellt werden, bei (a) durch eine Kopula-Konstruktion und (b) durch die Passivform des Verbs:
(a) This is mainly due to its favourable geographical position in the heart of Europe, the proverbial hospitality of its inhabitants, who soon adapted to tourism, and the special charm of its scenic attractions.
(b) The country is served by a well-developed network of railwas' and roads.
Vgl. dazu eine Analyse der Thema/Rhema-Gliederung im Deutschen und Englischen von Gerzymisch-Arbogast (1986).
2.2 Prämodifikation und Postmodifikation
Die Termini premodification und postmodification bezeichnen bei Quirk et al. die Struktur der komplexen Nominalphrase: beim ersteren steht die Adjektivphrase vor, beim zweiten nach dem Ei Substantiv. Auch hier gilt im Englischen bei einer komplexen Adjektivphrase das Prinzip des end-weight, im Deutschen jedoch nicht. Beispiele:
Das heute zu behandelnde Thema
The subject under discussion today
Die in Afrika lebenden Deutschen
The Germans living in Africa
Im Deutschen ist Prämodifikation üblich, im Englischen ist Postmodifikation die Regel. Dieses theoretische Wissen kann bei der zielsprachlichen Formulierung gezielt angewendet werden (s Sektion B3.1)
3. Lexikalische Semantik
Die lexikalische Semantik (oder die Lehre der Wortbedeutung, s. Art 13) gehört innerhalb der Sprachwissenschaft zu den relativ gut erforschten Bereichen. Für das Ãbersetzen dürften die sehr praxisbezogene Forschung von Ernst Leisi (1973) und die empirischen Wortfeldstudien seiner Zürcher Schüler besonders fruchtbar sein (z.B. De Zordi 1972, Waldvogel 1983, Glutz-Meier 1985) Hier werden Wörter (Lexeme) nach den drei von Leisi vorgeschlagenen Methoden -(1) der kritische Vergleich von Wörterbuchdefinitionen, (2) die Befragung kompetenter Informanten, (3) die Arbeit mit umfangreichem Textmaterial, die so genannte Corpus-Methode - im Verhältnis zueinander im Sprachsystem positioniert und durch Komponentenanalyse beschrieben (vgl. Snell-Hornby 1996.81).
Als Beispiel für eine kontrastive Untersuchung wird hier das Wortfeld Smiling, laughter im Englischen und Deutschen nach Snell- Hornby (1983) nachgebildet
Es handelt sich hier um "deskriptive Verben" (Snell-Hornby 1983), die erfahrungsgemäà im Ãbersetzungsunterricht besondere Probleme bieten. Bei diesen - morphologisch einfachen, aber semantisch komplexen -Verben, die in der englischen Alltagssprache sehr häufig vorkommen, steht nicht die verbale Handlung (hier smile bzw. laugh), sondern die Modalität der Ausführung im Mittelpunkt. Schon aus der graphischen Darstellung wird deutlich, dass dieses Wortfeld im Deutschen und Englischen anders besetzt und strukturiert ist. Die einzelnen Lexeme unterscheiden sich erheblich in der Sprechereinstellung, im kommunikativen Wert, in der Beschreibung der erzeugten Geräusche und in der Art des Gesichtsausdrucks Grin und grinsen sind z.B. keineswegs austauschbar grin deckt eine breitere Palette der Emotionen ab, kann frech oder boshaft, aber auch freundlich und lustig sein, während grinsen eine eindeutig negative Sprechereinstellung aufweist. Dt kichern stehen im Englischen wiederum drei Lexeme gegenüber snigger (mit negativen Konnotationen, der typische Agens ist männlich, eher infantil, wie ein Schulbub), titter (affektiertes oder nervöses Gelächter, der typische Agens ist weiblich) und giggle (albernes, aber harmloses Gelächter wie von Schulmädchen). (Für eine detaillierte Analyse mit Textbeispielen s Snell-Hornby 1983:118ff). Für die Ãbersetzung ist es wichtig, dass einfache "Ãquivalente" hier nicht gegeben sind, auch auf Systemebene steht ein Lexem nicht unbedingt einem anderen Lexem als Entsprechung gegenüber. Hilfreicher als die Suche nach direkten Entsprechungen ist zunächst die Erkenntnis, dass es sich hier um ein deskriptives Verb mit komplexen Gebrauchsbedingungen handelt; für die Textanalyse kann dann die Funktion und Gewichtung des Lexems im jeweiligen Kontext bestimmt werden. Für die Produktion des Zieltextes sind dies aber nur einige Faktoren, die im gesamten übersetzerischen Entscheidungsprozeà berücksichtigt werden müssen. (Zur Ãbersetzung deskriptiver Verben s. Gerzymisch-Arbogast 1994:109-117).
4. Kontrastive Pragmatik
Mit der pragmatischen Wende in den 70er Jahren wandte sich die Sprachwissenschaft auch Fragen der Sprachverwendung zu, und neben systemlinguistischen Fragen befasste sie sich auch mit konkreten Texten in einer realen, auÃersprachlichen Situation. Vor allem durch empirische Untersuchungen (Diskursanalyse) aus verschiedenen Sprachgemeinschaften konnten Sprechakte (s Art. 13 und 15) und die entsprechenden Diskursstrategien miteinander verglichen werden. Typische und für die Ãbersetzungswissenschaft sehr ergiebige Beispiele sind öffentliche Direktiven, die für das Sprachenpaar Deutsch und Englisch anhand umfangreicher Korpora von House (1997:79-94) und von Snell-Hornby (1988:86-93) untersucht wurden. Beide Stullen kamen zu einem ähnlichen Ergebnis, das auch für andere Textsorten bestätigt worden ist (s Art. 63) Grundsätzlich gilt die Schlussfolgerung, dass die deutschen Direktiven (und laut den Ergebnissen von House auch andere Diskurstypen) eher unpersönlich und sachorientiert, die englischen hingegen eher interaktional und adressatenorientiert sind (s Art. 65). In der sprachlichen Realisierung heiÃt das, dass im Englischen der Adressat in seiner situativen Rolle identifiziert bzw. direkt angesprochen wird und dass vor allem bei Warnungen und Verboten Modalverben bzw. Imperativformen eingesetzt werden; im Deutschen hingegen dominieren unpersönliche Infinitivformen bzw. Lexeme wie, Warnung' und, verboten'. Hier einige Beispiele:
Ãberschreiten der Gleise verboten
Passengers must not cross the line.
Warnung vor Dieben!
Beware of pickpockets!
Hausieren verboten.
Hawkers, canvassers, collectors not allowed.
Widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden kostenpflichtig entfemt
Trespassing vehicles will be towed away at owner's risk and expense.
Einfahrt freihalten.
Keep left.
In der linguistisch orientierten Ãbersetzungswissenschaft, die das Ãbersetzen als eindeutig linguistische Operation versteht, werden solche Ergebnisse in Modelle integriert und als Lösungen angeboten (vgl. dazu House 1997). Das ist aber schon deshalb nicht unproblematisch, weil gerade die Sprachverwendung (im Gegensatz zum Sprachsystem) ständig im Wandel begriffen ist -in den letzten Jahren zeigen z.B., auch deutschsprachige Direktiven zunehmend adressatenorientierte Merkmale auf (wie die Benutzung der markierten Imperativform), auch nonverbale Kodes (Piktogramme) setzen sich durch. Vor allem aber spielen in der Ãbersetzung auÃersprachliche (kulturelle bzw. auftrags- spezifische) Faktoren eine Rolle, mit denen sich die holistisch orientierte Translationswissenschaft zunehmend beschäftigt sprachwissenschaftliche Erkenntnisse sind dabei überaus wertvoll, sind aber im übersetzerischen Entscheidungsprozess nicht als fertige Lösungen, sondern eher als Hilfsmittel anzusehen.
Paralleltext:
• abgeleitete Texte
• gehen auf einen Ausgangstext zurück
• haben Status einer zielsprachlichen Neugestaltung
• sind Originaltexte der gleichen Textsorte, die unabhängig voneinander zu dem selben Thema mit identischer Funktion und in einer vergleichbaren Situation entstanden sind
o sind keine Ãbersetzungen
• sind nicht nur interlingual, sondern kulturspezifisch, nicht unbedingt sprachspezifisch
Benutzung von Paralleltexten:
• Man muss einen Text finden, der ein ähnliches Publikum über dasselbe Gebiet anspricht.
Sonderbund
Textsortenkontrastierung:
• Bernd Spiller
• sehr stark konventionalisierte Textsorte
o Kochrezepte
o Hochzeitsanzeigen
• Grad der Konventionalisierung
situationsäquivalenter Textvergleich:
• politische Reden
Auszug aus Handbuch Translation: Paralleltexte
1. Paralleltextvergleiche zur Aufdeckung von Unterschieden in Vertextungskonventionen
Ãbersetzungen erstellen zu können, die sich unauffällig in die jeweilige Zielkultur einfügen, so, als ob sie originär in der Zielsprache und -kultur erstellt worden wären, setzt voraus, dass der Ãbersetzer mit den jeweils einschlägigen Textsortenkonventionen vertraut ist, die in Ausgangskultur und Zielkultur auf allen Sprachbeschreibungsebenen unterschiedlich sein können, von der Lexik und der Interpunktion über die Syntax, die Verwendung metakommunikativer Elemente, die Art und Weise, in der der Verfasser von sich spricht oder den Leser anredet, die Verteilung und sprachliche Realisierung von Sprechakten bis hin zur Phraseologie und Textstrukturierung (vgl. Reiss/Vermeer 1984:184f., Göpferich 1995a).
Die beste Methode, interlinguale bzw. interkulturelle Unterschiede in den Textsortenkonventionen herauszufinden, ist die Paralleltextanalyse bzw. der Paralleltextvergleich. Unter Paralleltexten sind hierbei verschiedensprachige Texte zu verstehen, die originär in ihrer jeweiligen Sprache - am besten von kompetenten Muttersprachlern - erstellt wurden, die also keine Ãbersetzungen voneinander sind, aber ein möglichst ähnliches Thema behandeln und sich in ihrer kommunikativen Funktion entsprechen, d.h. derselben Textsorte(nvariante) angehören (s Spillner 1981:241 sowie Art. 17). Dass die Texte nicht nur derselben Textsorte(nvariante) angehören, sondern sich auch im Thema gleichen, ist deshalb wichtig, weil Textsortenkonventionen nicht nur textsortenabhängig sind, sondern innerhalb einer Textsorte auch disziplinabhängig variieren können.
Texte sind kein homogenes Ganzes; daher sollten bei Paralleltextvergleichen innerhalb der Gliederungsstruktur von Textsorten wieder- um nur jeweils die sich entsprechenden Textab- schnitte miteinander verglichen werden, also etwa der Abstract eines deutschen Fachzeitschriftenartikels mit demjenigen eines englischen, die Patentansprüche einer deutschen Patentschrift mit denjenigen einer britischen usw. Um darüber hinaus sicherzustellen, dass etwaige Unterschiede, die zwischen Textsorten verschiedener Sprachen festgestellt werden, tatsächlich textsortenspezifisch und keine idiolektalen Eigenheiten des jeweiligen Verfassers sind, sollte einem Paralleltextvergleich eine möglichst groÃe Anzahl von Textexemplaren unterschiedlicher Verfasser in den zu vergleichenden Sprachen zugrunde gelegt werden. Ãbersetzer sollten daher stets auf ein Korpus von Texten aller Sprachen, zwischen denen sie übersetzen, und aller Textsorten, die sie bearbeiten, zurückgreifen können (vgl. zum Begriff des Paralleltextes auch Wils, 1996:156ff).
2. Paralleltextvergleiche versus Ãbersetzungsvergleiche
Ãbersetzungsvergleiche (d.h. Vergleiche zwischen Ausgangstexten und ihren Ãbersetzungen) eignen sich zur Aufdeckung interlingualer bzw. interkultureller Unterschiede in den Textsortenkonventionen nur dann, wenn die jeweiligen Ãbersetzungen sich unauffällig in das Textsortenspektrum ihrer jeweiligen Kultur einfügen, also eine hohe Qualität aufweisen. Ob dies der Fall ist, muss zunächst in einer Ãbersetzungskritik festgestellt werden (vgl. Reiss/Vermeer 1984:194f.), für die jedoch als Bewertungskriterien wiederum die einschlägigen Textsortencharakteristika bekannt sein müssen, die man als Ãbersetzer jedoch oftmals gerade durch die Textvergleiche erst zu eruieren versucht. In jedem Fall besteht bei einem Vergleich mit Ãbersetzungen die Gefahr, "dass bei ihnen Harmonisierungstendenzen und Interferenzen in Bezug auf die in den jeweiligen Sprach- und Kulturgemeinschaften üblichen Vertextungskonventionen ihren Niederschlag finden" (Reiss/Vermeer 1984: 195), was bei Paralleltextvergleichen ausgeschlossen wird.
3. Zur Methode des Paralleltextvergleichs
Bei jeder interlingualen Textsortenkontrastierung ist zunächst die Frage zu stellen, ob eine Textsorte in der Vergleichssprache aufgrund gleicher oder ähnlicher situationeller Gegebenheiten ein Pendant aufweist (vgl. hierzu die Unterscheidung zwischen "generellen", "übereinzelsprachlichen" und "einzelsprachlichen Textsorten(klassen)" von Reiss/Vermeer 1984:192 sowie Art. 17). Ob dies der Fall ist, kann anhand einer Textsortenbeschreibung der zu vergleichenden Textexemplare mittels textexterner Kriterien festgestellt werden, in denen sich Textexemplare gleichen müssen, um als Paralleltexte behandelt werden zu können. Solche textexternen Kriterien sind z.B. das Wissensniveau des Senders, die Adressatenmerkmale und die Kommunikationssituation (vgl. Spillner 1981 :242). Zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit (Parallelität) von Textexemplaren kann auch ihre Verortung in einer Typologie zweckmäÃig sein, wie sie z.B. speziell für Paralleltextvergleiche von Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik von Göpferich erstellt wurde (vgl. Göpferich 1995a:124, 1995b).
Sollen bei kontrastiven Textsortenanalysen nur die einzelsprachlichen textsortenspezifischen Besonderheiten aufgedeckt werden, muss dem interlingualen Paralleltextvergleich jeweils eine intralinguale Kontrastierung unterschiedlicher Textsorten mit möglichst ähnlicher Thematik vorausgehen, in der festgestellt wird, welche Eigenschaften textsortenübergreifende allgemeine Textualitätsmerkmale sind und welche sich als textsortenspezifisch erweisen (vgl. Spillner 1981:242).
Solche intralingualen und interlingualen Analysen führte Göpferich (1995a) an einem breiten Spektrum von deutsch- und englischsprachigen Textsorten der Naturwissenschaften und der Technik (speziell der Kraftfahrzeugtechnik) auf der Basis einer pragmatischen Fachtexttypologie durch und deckte dabei - empirisch abgesichert - eine Reihe von translationsrelevanten interlingualen Unterschieden in den Textsortenkonventionen der untersuchten Texte auf (s. zu diesen Unterschieden Göpferich 1995a: Teil II, insbes. 445ff., 1995b; Paralleltextvergleiche im fachsprachlichen Bereich finden sich u. a. auch in Baumann/Kalverkämper 1992 und Kalverkämper/Baumann 1996). Um sicherzustellen, dass einzelsprachenspezifische Unterschiede in den Textsortenkonventionen auf allen Sprachbeschreibungsebenen aufgedeckt werden, empfiehlt sich bei Paralleltextvergleichen eine "kumulative Textanalyse", bei der als Vergleichskriterien alle "wichtigen distinktiven Merkmale auf den einzelnen Ebenen der sprachlichen Hierarchie in absteigender Richtung von den Makrostrukturen und Vertextungmitteln über die Syntax und Lexik bis zu den grammatischen Kategorien und den sie re- präsentierenden Morphemen" herangezogen werden (Hoffmann 1983:63, vgl. hierzu auch Sager et al. 1980:9).
Als zusätzliches Vergleichskriterium empfiehlt sich bei Paralleltextvergleichen auch die Einbeziehung eventuell existierender Lehrwerke, Richtlinien und Empfehlungen zur Abfassung von Texten der jeweiligen Textsortenzugehörigkeit.
4. Praxistaugliche Aufbereitung von Ergebnissen aus Paralleltextvergleichen
Rasche Paralleltextvergleiche bzw. einen gezielten Zugriff auf die Ergebnisse von interlingualen Paralleltextvergleichen bieten zum einen Volltextdatenbanken, die Zugriff auf typische Vertreter unterschiedlicher Textsorten (Textsortenprototypen) in zwei oder mehr Sprachen gewähren, und zum anderen "textographische Datenbanken" (Göpferich 1995a:453ff.), die in ihrem Aufbau Terrninologieverwaltungssystemen gleichen, jedoch der Erfassung und Abfrage von Textversatzstücken und textsortenspezifischen Informationen dienen (zur Konzeption solcher Datenbanken s. Göpferich 1995a:453ff., 1995c).
Rhetorik in der Translation – Audiomediale Texte
audiomediale Texte
• waren ursprünglich der 4. Texttyp nach Katharina ReiÃ
• Texte, die zwar schriftlich fixiert, aber mithilfe eines nicht sprachlichen Mediums in gesprochener (oder gesungener) Form an das Ohr des Empfängers gelangen, wobei in unterschiedlich groÃem Ausmaà auÃersprachliche Hilfsmittel zur Realisierung einer literarischen Mischform beitragen.
• Sie leben nicht vom Sprachgeschehen allein, sondern sind lediglich mehr oder weniger wichtige Elemente eines gröÃeren Ganzen. Kennzeichnend sind ihr Angewiesensein auf auÃersprachliche (technische) Medien und nicht sprachliche Ausdrucksformen graphischer, akustischer und optischer Art. Erst im Verein mit ihnen ergibt sich das Ganze der zu realisierenden literarischen Mischform.
• Wurden als 4.Texttyp 1990 von K. Reià zurückgenommen.
Heute (in der Ãbersetzungswissenschaft):
• multimediale Texte
o vor allem Film-Ãbersetzungen
ï§ nicht nur Drehbuch, sondern auch Kameraführung, Musik, Gestik, Technik, etc.
• multimodale Texte
o Bühnentexte
o ein Medium (Stimme), aber verschiedene Modi (Gesang, Sprechen)
• multisemiotische Texte
o Texte, die verschiedene Codes benutzen, aber gleiche Medien und Modi verwenden
ï§ Comics
• Figuren, Zeichnungen, Farbe, verbaler Text (Sprechblasen, etc.)
• audiomediale Texte
o Texte, die zum Sprechen geschrieben wurden, aber nicht, um gelesen zu werden â werden nicht visuell, sondern über menschliche Stimme rezipiert
ï§ politische Reden
ï§ wissenschaftliche Vorträge
Rhetorische Stilmittel
Artikel 19 (Kontrastive Grammatik)
• Sprechbarkeit
o Rhythmus
o Abwechslung
o Endfokus (end-weight)
ï§ Fokus: neue Information
ï§ Endfokus: neue Information gegen Satzende €
ï§ kontrastiver Fokus im Deutschen: Betonung am Satzbeginn
• Artikel 19, Kontrastive Linguistik
o Postmodifikation statt Prämodifikation (dem Bezugswort vorausgehende Bestimmung; im Deutschen häufig, in Englisch seltener)
o Intensivierung durch Parataxe statt Hypotaxe (Schachtelsätze)
o betonte Vokale (statt Konsonantenbündel wie Psst, Schscht…, etc.)
o Fremdwörter
• Rhetorik
o These (Aussage) / Antithese (aber, …) / Synthese (Schlussfolgerung) / eventuell Beispiele
o Rekurrenz (Intensivierung durch Wiederholung statt Tautologie)
o rhetorische Fragen
ï§ Form einer Frage, die in Wirklichkeit eine Aussage ist
o 3er-, 4er-Gruppen
ï§ von Substantiven oder Werben
o Oppositionen
Beispiele
• Rede von Winston Churchill, 1940
o Never in all the field of human conflict was so much owed by so many to so few.
ï§ Intensivierung
ï§ Opposition
o Niemals hatten im Bereich menschlichen Ringens so viele so wenigen so viel zu verdanken.
• Zürch’er Rede (September 1946)
o I wish to speak to you today about the tragedy of Europe
ï§ Rhythmus: Abwechslung von kurzen und langen Sätzen
ï§ Opposition: Christian faith and Christian ethics
ï§ 4er-Gruppen
ï§ Antithese: yet it is from Europe
• Rede von Bill Clinton (Juli 1993) vorm Brandenburger Tor
o Half a century has passed since Berlin was first divided … (siehe HB)
• wissenschaftliche Referate
o siehe Artikel 63 “Philologische Texte” von KuÃmaul
englische Reden
• linear
• symmetrisch
• überschaubar, weil induktiv (gehen von Beispielen, Erfahrungen aus)
• Autor trägt Verantwortung für Verständlichkeit: leser- oder hörerorientiert
deutsche Reden
• digressiv
• asymmetrisch
• deduktiv (logische Prämisse)
• theorielastig
• autorenbezogen: Leser muss sich selbst um das Verständnis kümmern
weiteres Beispiel: A Child’s Christmas in Wales (Dylan Thomas, 1946), übersetzt von Erich Fried
Auszug aus Handbuch Translation: Audiomediale Texte
1971 prägte Katharina Reiss neben den drei grundlegenden Texttypen (inhaltsbetont, formbetont und appellbetont) auch den Begriff der "audio-medialen Texte", die sie als Texte charakterisierte, "...die zwar schriftlich fixiert, aber mit Hilfe eines nicht-sprachlichen Mediums in gesprochener (oder gesungener) Form an das Ohr des Empfängers gelangen" (1971:34). Diese "audio-medialen Texte", die Reiss damals noch als vierten Texttyp verstanden hat, lösten in der Fachliteratur eine lebhafte Diskussion aus, so dass sie sich veranlasst sah, ihren Standpunkt zu modifizieren. Zum einen räumte sie (1990) ein, es handle sich bei solchen Texten doch nicht um einen gesonderten Texttyp in ihrem ursprünglichen Sinne, denn Elemente der Darstellung, des Ausdrucks und des Appells können hier nebeneinander vorhanden sein, so dass eine Abgrenzung kaum relevant oder möglich wäre. Und zum andern änderte sie die Bezeichnung "audio-medial" in "multi-medial" um, wobei auch das Medium der bildlichen Darstellung einbezogen wurde, wie etwa bei Comics. Als multimediale Texte dienen in dieser Definition z.B. auch die Textvorlagen zu Bühnenstücken (s. Art. 70) und Filmen (s. Art. 72, 73) sowie Opernlibretti (s. Art. 71) und Liedertexte, aber auch Comics und Werbematerial (s. Art. 74, 65). In den letzten Jahren hat sich aber im gemeinsprachlichen Gebrauch der Begriff multimedial - en.audiovisual - im eher technischen Sinn (v.a. in Verbindung mit Computern, Videoaufzeichnungen etc.) durchgesetzt und - zumindest in der Ãbersetzungswissenschaftlichen Literatur - für terminologische Verwirrung gesorgt.
In der Ãbersetzungswissenschaft ist der Terminus audiomedial inzwischen durch multi-medial völlig verdrängt worden. Allerdings gibt es Textsorten, die zwar schriftlich fixiert, aber in gesprochener Form an das Ohr des Empfängers gelangen, jedoch nicht multimedial sind. Es sind Texte, die gezielt zum Sprechen geschrieben bzw. verwendet werden und somit sehr wohl als audiomedial bezeichnet werden könnten: politische Reden, wissenschaftliche Vorträge, auch Textstellen aus der Bibel, die zu liturgischen Zwecken vorgelesen werden (s. Art. 77). Sie gelangen akustisch über die menschliche Stimme an den Rezipienten statt visuell über das gedruckte Wort.
Somit entstehen für den Textproduzenten bzw. Ãbersetzer spezifische Probleme, z.B. hinsichtlich der Rhetorik und der Sprechbarkeit (s. Art. 12, 66, 70). Im audiomedialen Text werden solche Elemente - im Gegensatz zum spontanen mündlichen Diskurs - gezielt eingesetzt, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen, und sie variieren mit den verschiedenen Sprachen und Kulturräumen. Die rhetorische Wirkung einer Rede im Englischen ist z.B. mit dem Prinzip des End-focus im Satz verbunden (s. Art. 19), im Deutschen spielt hingegen der kontrastive Fokus eine entscheidende Rolle. Bei wissenschaftlichen Vorträgen bestehen verschiedene Konventionen (s. Art. 63): während ein wissenschaftlicher Text im Deutschen durch einen eher abstrakten argumentativen Nominalstil, durch Hypotaxe (Schachtelsätze) und Prämodifikationen gekennzeichnet ist, sind in englischen Vorträgen eher konkrete Beispiele, parataktische Gruppierungen mit Postmodifikationen und End-weight angebracht (s. Art. 19). Vor allem bei Vorträgen, die im Englischen von Nichtmuttersprachlern gehalten (und zu diesem Zweck übersetzt) werden, sind Verständlichkeiten und Akzeptanz sehr häufig durch solche Kriterien bestimmt, die deshalb in die Strategie der Ãbersetzung eingebaut werden sollten. Das geht aus einem Vergleich der folgenden Textstelle aus einem Kongressvortrag (dt Original und en Ãbersetzung) hervor:
Diese Entwicklung wurde durch einen mit groÃem Einsatz betriebenen Ausbau (1) der Verkehrswege und der Transportmittel unterstützt und vorangetrieben (2); vor allem der Bau der Eisenbahn zeitigte in der Folge wirtschaftliche Auswirkungen (3) von unabsehbarem Ausmaà (4).
Further impetus was provided (2) by a massive expansion (1) in transport and communications; the railways in particular had an immeasurable (4) effect (3) on the economic development.
Durch die Beseitigung der Prämodifikation (1) und der Tautologie (2) sowie die Verkürzung umständlicher Phrasen (3) und die Ersetzung eines Wortverbandes durch ein Lexem (4) wird der Text nicht nur kürzer, sondern auch sprechbarer Zu den Grundregeln solcher Sprechbarkeit gehören lineare Satzprogression (s. Art 66) mit Endfokus; eine rhythmische Sprache mit stark betonten Vokalen; Vermeidung komplexer Konsonantenbündel mit zu vielen unbetonten Vokalen (wie etwa zeitigte in der Folge).
In der politischen Rede kommt der Rhetorik eine besondere Rolle zu, auch in der heutigen Zeit, wie aus diesem Ausschnitt aus Bill Clintons Rede vom 12. Juli 1993 vor dem Brandenburger Tor hervorgeht:
Half a century has passed since Berlin was first divided, thirty-three years since the wall went up In that time, one half of this city lived encircled and the other half enslaved (I) But one force endured: your courage. Your courage has, taken many forms. The bold courage (2) of June 171953, when those trapped in the East threw stones at the tanks of tyranny (3) The quiet courage (2) to lift children above the wall so that their grandparents on the other side could see those they loved but could not touch (1) The inner courage (2) to reach for the ideas that make you free. And the civil courage (2), Zivilcourage, of five years ago, when, starting in the strong hearts and candle- fit streets of Leipzig, you turned your dreams of a better life into the chisels of liberty (4).
Hier werden die oben erwähnten Grundprinzipien der Sprechbarkeit durch akustische Stilmittel wie Alliteration (3), aber auch durch Metaphorik (4) (s. Art. 79), Intensivierung, besonders durch Dreier- und Vierergruppen von Nominalphrasen (2) und Oppositionen (1) verstärkt. (S. dazu Pöchhacker 1997, mit Analyse der deutschen Simultandolmetschung.)
Geschichte des Dolmetschens
siehe Translation und Text, S.16
- geht ins alte Ãgypten zurück
- Dolmetscher hatten sehr hohen Status
o unterhielten Handelsbeziehungen
o ehrenhafte Titel â Chefdolmetscher
- Dolmetschberuf galt aber als etwas zwielichtig wegen des Kontakts mit Fremden
Dolmetscher als Mittelrolle
- Hohe / Tiefe Ebene
- Vertikale Führung der Botschaft â Dolmetscher dazwischen
- Horizontales Dolmetschen â Richtungen wechseln
- Dolmetscher wurden oft als Verräter / Spitzel gesehen
Bsp: Dolmetscher Hitlers/Stalins
- 20. Jahrhundert – Blütezeit des Dolmetschens (Konferenz- und Simultandometschen)
- im Kommunalbereich
Auszug aus Handbuch Translation: Geschichte des Dolmetschens
Dolmetschen - die mündliche Ãbertragung eines gesprochenen oder laut vorgelesenen Textes -ist eine uralte Tätigkeit. Schon im Alten Testament ("Josef und seine Brüder") wird es erwähnt, und "im 3. Jahrtausend v Chr." in der 6. Dynastie des ägyptischen Alten Reiches trugen die Gaugrafen von Elephantine den Titel „Vorsteher der Dragomane" (Kurz 1996). Die Griechen und Römer setzten Dolmetscher für ihre Feldzüge wie auch für die Zivilverwaltung ein. In der europäischen Diplomatie sind Dolmetscher durch Jahrhunderte wenig erwähnt, weil Aramäisch, Lateinisch, später Italienisch und besonders Französisch als Verkehrssprachen verwendet wurden, Vielfach finden wir die Feststellung, dass bis zum Ersten Weltkrieg Französisch so gut wie ausschlieÃlich die Sprache der Diplomatie und des zwischenstaatlichen Verkehrs war (Scott 1924, Herbulot 1985, Feldweg 1996). Die Pariser Friedensverhandlungen zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten im Jahr 1898 (Bowen 1992) wurden je doch mit einem Berufsdolmetscher (Arthur Ferguson) auf spanisch und englisch geführt, der schon bei der 1. interamerikanischen Konferenz (1889) gearbeitet hatte und dann Dolmetsch-Sekretär für die Philippinen wurde. Der Friede von Portsmouth wurde 1905 zwischen Russland und Japan auf englisch, russisch, französisch und japanisch verhandelt (Bowen 1995). Französisch wurde in den hundert Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem für multilaterale Konferenzen verwendet, z.B. in den Verhandlungen zur Beendigung des Boxer-Aufstandes 1900 und in den Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) Bilaterale Verhandlungen dagegen wurden oft in den Sprachen der beiden Partner geführt. Schon bevor die zunehmende Demokratisierung Dolmetscher für europäische Sprachen notwendig machte, waren es die orientalischen Sprachen, für die Dolmetscher gebraucht und auch ausgebildet wurden.
Für die Beziehungen mit der Türkei hatten sowohl der französische wie auch der Wiener Hof das System der "Sprachknaben" oder "enfants de langue", die in den Nahen Osten geschickt wurden, um dort die Sprache zu lernen. Das war auch 1719 der Fall des jungen Penckher gewesen, der 1726 zum kaiserlichen Dolmetsch bei der Pforte ernannt wurde Nach insgesamt acht Jahren Dienst wurde er als Kaiserlicher Hofdolmetsch und Sekretär in Orientalieis nach Wien berufen (Wurzbach 1869452 f.), und wir finden ihn erwähnt im Wienerischen Diarium 1731, im Bericht über den Einzug des türkischen Gesandten und seine Audienz beim Kaiser. Auf diplomatischem Posten kehrte er wieder in die Türkei zurück Erst nach zwanzig Jahren ausgezeichneter Dienste, für die er in den Adelsstand erhoben wurde, kehrte er nach Wien zurück.
Kaiserin Maria Theresia gründete 1754 die Orientalische Akademie mit demselben Ziel wie einige Jahrzehnte vorher Colbert für Frank- reich. die Förderung des Handels Im Lauf der Jahre gingen aus der Akademie mehrere Hofdolmetscher und Orientalisten hervor, der berühmteste unter ihnen war Joseph von Hammer-Purgstall. Allmählich trat die Vorbereitung für den diplomatischen Dienst in den Vordergrund, wie auch vielfach in anderen Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Bedürfnis nach einem sprachlich orientierten Ausbildungsprogramm für junge Diplomaten erkannt wurde. In Berlin wurde an der Humboldt-Universität vor mehr als hundert Jahren mit der Ausbildung von Russisch-Dolmetschern begonnen. Das britische Foreign Office bildete Dolmetscher für Chinesisch und Japanisch aus, auch das US Department of State führte die Kategorie student-interpreters ein. Aber erst 1921 veranstaltete das Auswärtige Amt in Berlin besondere Kurse zur Ausbildung von Konferenzdolmetschern, die ganze Reden oder groÃe Gesprächsabschnitte in einem Zuge dolmetschten. "Diese neue Technik [der stichwortartigen Aufzeichnungen] wurde auf den Kursen des Auswärtigen Amts eingehend gelehrt. Die Teilnehmer waren unter den Studenten der Berliner Universität ausgewählt worden. Es waren teils Juristen, teils Neuphilologen" (Schmidt 1954:12)
1. Verschiedene Erscheinungsformen
Die säuberliche Trennung zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen des Dolmetschens wird erst seit relativ wenigen Jahren versucht. Die Höhe der Bezahlung und relatives Prestige erleichtern die Debatte nicht. Ausschlaggebend sollen aber die unterschiedlichen Leistungen sein, die je nach Situation gebraucht werden.
Kann man unter dem Ausdruck Dolmetscher einfach jegliche mündliche SprachmittIung zusammenfassen? Oder müssen wir unterscheiden nach der Situation, der spezifischen Funktion, der Methode des Dolmetschens? Konsekutivdolmetschen wurde für internationale Konferenzen fast ganz vom Simultandolmetschen verdrängt, so wie es in seiner modernen Form erst in unserem Jahrhundert praktiziert wird. Eine frühe Art des Simultandolmetschens war das Flüsterdolmetschen. Aus dem 18. Jahrhundert wird berichtet, dass bei einer Schülervorstellung im Jesuitenkolleg GroÃ-Glogau König Friedrich II. von PreuÃen den lateinischen Text ins Ohr geflüstert bekam (Barthel 1982.143). Auch Stephen Bonsal, Präsident Woodrow Wilsons Dolmetscher bei den Pariser Friedensverhandlungen, wurde gebeten, ihm laufend, während der Redner sprach, Satz um Satz die Dolmetschung zuzuflüstern (Bonsai 1944:61). Diese Methode ist zu unterscheiden vom satzweisen dolmetschen, wobei der Redner nach jedem Satz eine Pause macht (Beispiele Präsident Monroe im Gespräch mit einer Indianerdelegation; Alliierter Kontrollrat von 1945 bis 1955 in Wien).
Bestimmte Situationen des Dolmetschers finden wir immer wieder in der Geschichte. Gerichtsdolmetscher (s Art 90, Kaufmann 1994 und Morris 1993), Militärdolmetscher, von den Dolmetschern Hannibals, Sullas und Cäsars (Kurz 1986b) zu den Begleitern Napoleons nach Ãgypten und bis zu den Dolmetschern mit Offiziersrang, die in der deutschen Wehrmacht eingesetzt wurden, und den Dolmetschern der Vereinten Nationen in Bosnien; Entdeckungs- und Forschungsreisen (Cortes' und Magellans Dolmetscher, Bowen 1995); Verbreitung der Weltreligionen (Islam in Afrika- Christentum in der Neuen Welt und in Ostasien). Nicht immer standen Dolmetscher zur Verfügung. Klagen über das Fehlen kompetenter Dolmetscher sind nicht selten Man versuchte, die neuen Sprachen zu lernen oder Eingeborene zu unterrichten. In Japan hatte der Jesuitenorden in dem begabten Portugiesen Rodrigo einen Dolmetscher (Bowen 199613), den der jüngst verstorbene James Clavell als Vorbild für den Dolmetscher in seinem Roman Shogun heranzog.
2. Dolmetscherinnen
Ist Dolmetschen ein Frauenberuf? In der Presse und Literatur wird seit etwa 1950 immer wieder dieser Eindruck erweckt, Feldweg widmete der Frage einen Abschnitt unter dem Titel "Gleichberechtigung", obwohl heute der Frauenanteil weltweit über 70 % beträgt (Feldweg 1996.82). Historisch belegt sind Frauen in Dolmetscherfunktion schon viel früher. Die Aztekin Marina, die Dolmetscherin von Hernan Cortes, ist wohl die berühmteste unter ihnen Sie wurde so sehr zu einer umstrittenen Gestalt - Verräterin ihres Volkes, Retterin der Spanier - dass in den unzähligen Werken über sie ihre eigentliche Rolle oft vernachlässigt wird. Sie kannte die Sprache der Maya, konnte also im Relais mit dem Spanier Jetonimo de Aguilar, der diese als Schiffbrüchiger gelernt hatte, für Cortes dolmetschen Madariaga nennt sie eine der Hauptfiguren der Conquista (Bowen 1995), aber in den fünf langen Briefen, die Cortes an Karl V schrieb, wird sie nur zweimal ganz kurz erwähnt, Sacajawea (ca. 1790-1812), die Indianerin aus dem Stamm der Shoshone, begleitete die Expedition von Lewi, und Clark nach dem Westen und leistete wertvolle Hilfe in den Verhandlungen mit den Indianerstämmen Catherine Montour, meist Madame Montour genannt, war die Tochter eines französischen Einwanderers und einer Indianerin. Sie sprach Englisch und Französisch sowie mehrere Indianersprachen und wird erstmals erwähnt als Dolmetscherin der Alhany Konferenz am 24. August 1711. Angelina County in Ost-Texas ist nach einer Dolmetscherin für spanische und französische Missionare benannt Der Völkerbund, für den schon mehrere Konferenzdolmetscher belegt sind, beschäftigte auch Madame Angeli aus der Familie Rosetti. Ihre Arbeitssprachen waren Englisch, Französisch und Italienisch, und sie konnte ganze Reden ohne Notizen wiedergeben (Madariaga 1974:58).
3. Quellen
Der Satz verba volant gilt auch für das Dolmetschen. Wenn wir überlegen, wie wichtig die Sichtverhältnisse für Kommunikation über Dolmetscher sind (Feldweg 1996:246f.), wird klar, dass eine genaue Analyse der Dolmetschleistungen in der Vergangenheit so gut wie unmöglich ist. Unsere Quellen über die Tätigkeit von Dolmetschern sind daher notwendigerweise Sekundärquellen, sie sind verstreut in Urkunden, Berichten, Tagebüchern, Biographien, Autobiographien, bildlichen Darstellungen und Grabstätten. Die Informationen sind oft nur fragmentarisch, Anekdoten werden unkritisch wiederholt. Ein typisches Beispiel ist die beliebte Geschichte von dem Delegierten, der den Konsekutivdolmetscher tadelte' "Das habe ich nicht gesagt," worauf dieser erwiderte' "Weià ich, weià ich, aber das hätten Sie sagen sollen". Sie wurde abwechselnd George oder André Kaminker zugeschrieben, beide leugneten den Vorfall beharrlich.
4. Rolle und soziale Stellung der Dolmetscher
Wir haben schon gesehen, dass Dolmetscher gelegentlich Sklaven waren. Angehörige eines unterworfenen Volkes oder Gefangene. Roditi (1982:2) hat darauf hingewiesen, dass Dolmetscher oft aus Mischehen hervorgegangen sind oder einer Minderheit angehörten und die Sprache des herrschenden Volkes gelernt hatten. Viele der Indianerdolmetscher in den USA und in Kanada waren von gemischter Abstammung. Die Bundesregierung der Vereinigten Staaten, vor allem die Präsidenten empfingen immer wieder Delegationen aus dem Westen. Die Gäste besichtigten die Hauptstadt, empfingen Geschenke und waren natürlich selbst Gegenstand der allgemeinen Neugier. Dolmetscher waren für diese Reisen unerlässlich (Viola 1981:71,75).
Da es aber die Gebildeten und oft die Adeligen waren, die fremde Sprachen studierten, finden wir immer wieder Dolmetscher, die durchaus nicht niedrigen Standes waren. Thomas Nadasdy z.B. war ein ungarischer Edelmann; er dolmetschte für den Kardinal Thomas de Vio Cajetano, als er im Auftrag des Papstes mit dem jungen König Ludwig II. über die Abwehr der Türkengefahr verhandelte (Wurzbach 1869) Geistliche waren nicht selten als Dolmetscher tätig (Nicole d' Acre während des Sechsten Kreuzzuges, vgl. de Joinville 1963:252). Viele Diplomaten begannen ihre Laufbahn als Dolmetscher so Heinrich von Peuckher (siehe oben Charles Bohlen und Vernon Wallers in den USA (Bowen 1995) oder sie waren aus wohlhabender Kaufmannsfamilie wie Birse (1967). Robert Ekvall, der Panunion-Dolmetscher war Spezialist für Buddhismus und arbeitete an einem Buch, als die amerikanische Armee ihn wegen seiner Kenntnisse der chinesischen und koreanischen Sprache rief. Dolmetschende Diplomaten waren z.B. Baron Sonnino, der italienische AuÃenminister bei der Pariser Friedenskonferenz 1919, und Admiral Acton bei der San Remo Konferenz (Bowen 1995:271). Die Ausstellung während der AIIC- Konferenz in Montreal 1997 zeigte, dass Dolmetscher viele Interessen und eine sehr unterschiedliche Vorbildung haben.
Bei Verhandlungen wurden in der Regel Dolmetscher von beiden Verhandlungspartnern
gestellt (s. Art 91). Bei diplomatischen Verhandlungen ist dies auch heute noch meist der Fall, weil gefürchtet wird, dass der Dolmetscher nicht ganz neutral ist. Von Dolmetschern wurde erwartet, dass sie unüberlegte Formulierungen des Redners milderten und den Tadel für allzu heftige Aussagen auf sich nahmen. Der Völkerbund führte als erste Organisation auch für Dolmetscher die Kategorie "internationaler Beamter" ein, die heute bei den Vereinten Nationen und der Europäischen Union allgemein üblich ist und den Dolmetscher nur der Organisation selbst, nicht einem einzelnen Land unterstellt.
5. Schlussbemerkungen
Historiker wenden sich vor allem den politischen und kriegerischen Ereignissen zu, Schriftsteller und Journalisten legen Wert auf Anekdoten, sachliche Aussagen über die Dolmetschung kommen dabei zu kurz Den Bemühungen der Berufsorganisationen und in zunehmendem MaÃe den Dolmetscherschulen ist es zu verdanken, dass nun intensiver an der riesigen Aufgabe einer Geschichte des Dolmetschens gearbeitet wird und ein Repertorium der Historiker des Dolmetschens entstand.
Hans Vermeer:
• Georg Mounin: 1969; Ãbersetzen: Geschichte, Theorie, Anwendung
• Pöchhaker: „Dolmetschen“
• „Memoirs of Interpreter“
• Memoiren von Paul Schütt (Dometscher von Hitler)
Geschichte des Ãbersetzens
- Anfänge im 3. Jahrtausend vor Christus
- Akkadische Kultur blühte auf â orientierte sich an der sumerischen Kultur
Anfänge der Lexikografie:
• Wörterlisten sind Beginn der Lexikografie = Anfang des Ãbersetzens
• Nomenklaturen von Tieren, Bräuche: zuerst sumerische, dann akkadische Sprache
• altes Mesopotamien
Linksworth sieht Anfang des Ãbersetzens in Griechenland:
- von römischer Kultur abgelöst
- mit Römern erlebte Ãbersetzung erste Blütezeit
- S. 39
- nicht wortwörtlich übersetzen, sondern flüssigen, sinnvollen Text schreiben
- eher frei übersetzen
- früher war übersetzen eine wörtliche Angelegenheit
Ãbersetzer / Ãbersetzungstheoretiker:
- Biografie von Hironimus…
- erster der Bibelübersetzung
o direkt aus dem Hebräischen ins Lateinische
o latein. Fassung als Standardfassung = „VOLGATA“
o inzwischen neue Ãbersetzungen
o Wortfolgen ein Mysterium bei Bibelübersetzungen
ï§ Botschaft Gottes durfte nicht verändert werden
ï§ Ãbersetzung war „lebensgefährlich“
ï§ bei Falschübersetzung konnte der Ãbersetzer getötet werden (Scheiterhaufen)
5 Punkte nach Etienne Dolet:
1. Sinn und Stoff des Autors völlig verstehen
2. Ausgangs und Zielsprache beherrschen
3. sich nicht an den Wortlaut klammern
4. sich vor Fremdwörtern (lateinischen) hüten und an französische Umgangssprache halten
5. guter, eleganter Stil soll eingehalten werden
Bagdad:
- 9./10. Jahrhundert â Blütezeit des Ãbersetzens in Mesopotamien = Wiege des Ãbersetzens
- damals wurden griechische Werke in Arabisch übersetzt
- 12. Jahrhundert â im spanische „Toledo“ wieder aufgenommen
o arabische Ãbersetzungen wurden ins Lateinische übersetzt
o „Schule von Toledo“
o Gelehrtenkommitée
- Ausgangs- / Kultursprache = Lateinisch â alte Kultur: Lateinisch = Volkssprache in Europa
- nach Vorbild von Toledo entstand im Ort „Straelen“ (â kleiner Ort in Deutschland) ein Ãbersetzercollege
- gegründet in den 80. Jahren
Europa: Bibelübersetzung:
â Wort Gottes darf nicht verändert werden
â Reformation: Martin Luther - übersetzte Bibel
â André Lefevere: 1977 Buch herausgegeben „Translating Literature“
19. Jahrhundert: Blütezeit
• Goethe: durch 2 Maxime bekannt:
1. Grabrede für Christoph Martin Wienland
2. Abhandlung von Friedrich Schleiermacher (1813)
- Leser soll dem Schriftsteller näher gebracht werden
- Lateinische Werke: moderner Leser muss dem Schriftsteller näher gebracht werden
Benjamin: wichtig für moderne Sprachwissenschaft
„Die Aufgabe des Ãbersetzers“
- geht auf Goethe zurück
- 1819 – Trilogie aufgestellt
o 3 Epochen der Ãbersetzung nach Goethe
ï§ 1. Bsp: Bibelübersetzung von Luther
ï§ 2. Bsp: franz. Ãbersetzungen die ganz besonders vage / frei warn = „belles unfidèles“
ï§ 3. Bsp: Shakespeare Ãbersetzungen, Ãbersetzung dem Original identisch machen
Benjamin: Wahlübersetzung ist durchscheinend
- sieht Verwandtschaft aller Sprachen
- man kann zwischen Ãbersetzung und Original nicht unterscheiden
Auszug aus Handbuch Translation: Geschichte des Ãbersetzens
Die Anfänge des Ãbersetzens reichen bis zur Erfindung der Schrift zurück. Die älteste Form des Schreibens, die sumerische Keilschrift, entstand in Mesopotamien. Solche Schriftzeichen erscheinen neben weiteren alten Schriftformen in zwei- und dreisprachigen Wortlisten auf 4500 Jahre alten Tontafeln, die bei Ausgrabungen zutage gefördert wurden.
Obgleich das Ãbersetzen oft als eine der ältesten Tätigkeiten der Menschheit bezeichnet wird, ist die Geschichte der Translation (Ãbersetzen und Dolmetschen, siehe Art 9, 11) eine eher junge Forschungsströmung. Zwar wurden schon in der Vergangenheit Schriften über das Ãbersetzen verfasst, wobei bereits bestehende Ãbersetzungen durchaus in Betracht gezogen wurden, aber erst in jüngerer Zeit hat sich ein systematischer Ansatz zur Erforschung der Translationsgeschichte herausgebildet. Besonders seit den 80er Jahren sind sich Translationswissenschaftler der Notwendigkeit historischer Untersuchungen bewusst geworden und haben begonnen, adäquate Methoden und Parameter zu erarbeiten. Die Geschichte der Translation wirft Licht auf Ãbersetzer, die häufig ein Schattendasein geführt haben, und verhilft sowohl Berufsübersetzern als auch der Allgemeinheit zu einem besseren Verständnis dafür, welchen Beitrag die Ãbersetzer durch sämtliche Epochen hin- durch zur Entfaltung des Geisteslebens geleistet haben. Nicht zuletzt verleiht die historische Forschung dem Berufsstand und der Translationswissenschaft eine gewisse Legitimität. So schrieb der verstorbene französische Denker Antoine Berman in seiner Studie zur Ãbersetzung während der deutschen Romantik, die Erarbeitung einer Geschichte des Ãbersetzens sei die erste Aufgabe einer modernen Ãbersetzungstheorie. Im Folgenden soll ein Ãberblick geboten werden über einige der herausragendsten Errungenschaften, die den Ãbersetzern der Vergangenheit zuzuschreiben sind (s. Art 24).
1. Das Ãbersetzen im Altertum
Dank der Ãbersetzung konnte Rom das reiche kulturelle Erbe Griechenlands antreten. Um 240 v.Chr. verfasste der griechische Sklave Livius Andronicus eine lateinische Version der Odyssee und öffnete so den gestrengen Römern das Tor zu den Schätzen der griechischen Literatur. In der Folge entwickelte sich in Rom eine bedeutende Ãbersetzungstätigkeit. Bezeichnenderweise waren die Ãbersetzer - Terenz, Cicero, Horaz, Vergil, Quintilian - auch selber Dichter. Mit ihren Ãbersetzungen wollten sie die prosperierende lateinische Literatur mit Modellen der von ihnen so geschätzten griechischen Autoren bereichern. Ihre Haltung zum Ãbersetzen wird oft mit dem Imperialismus des expansionshungrigen Römischen Reiches verglichen. Sie machten sich die übersetzte Literatur zu Eigen, um sie zu übertreffen und zu dominieren.
Jene Epoche war aber auch eine Zeit des Nachdenkens über die Kunst des Ãbersetzens. Die damals entstandenen Schriften diskutierten die Frage, ob wortgetreu oder frei übersetzt werden sollte, Wort für Wort oder sinngemäÃ, und lösten eine Debatte aus, die über Jahrhunderte hinweg andauern sollte. Cicero sah in der Nachahmung der Griechen einen Weg zur Entwicklung des eigenen rhetorischen Könnens In seiner bekannten Abhandlung De Aratore trat er für die freie Ãbersetzung und die Prägung neuer Ausdrücke ein. Auch Horaz warnt in seiner Ars poetica vor der wörtlichen Ãbersetzung und empfiehlt stattdessen die sinngemäÃe Ãbertragung.
Eine der herausragendsten Persönlichkeiten des Altertums, wenn nicht aller Zeiten war Hieronymus, später bekannt als Hl. Hieronymus (ca. 331-ca 420). Hieronymus ist als Verfasser der Vulgata, der als authentisch anerkannten lateinischen Bibel, bekannt. Er wurde als Sohn christlicher Eltern in Stridon, einer Stadt im Grenzgebiet zwischen Dalmatien und Pannonien geboren. Später wurde er zum Studium nach Rom geschickt Während der Jahre, die er dort verbrachte, erwarb er Kenntnisse in klassischer Literatur (insbesondere Vergil, Horaz und Cicero), orientalischer Philosophie und Recht. Nach einiger Zeit gab er seine Beamtenlaufbahn im Dienste des Römischen Reiches auf, trennte sich von seinen irdischen Gütern und zog nach Osten Während seines Aufenthalts in Antiochia, wo er mit dem Studium der griechischen Sprache begann, entdeckte er die christliche Literatur. Er zog weiter in die Wüste, in das Gebiet des heutigen Syrien, und verbrachte dort zwei Jahre in BuÃe. Er widmete sich dem Studium christlicher Literatur und der Bibel und erweiterte seine Kenntnisse des Hebräischen. SchlieÃlich kehrte er nach Antiochia zurück, wo er in den Priesterstand aufgenommen wurde. Im Jahre 382 kehrte Hieronymus nach Rom zurück, wo er als Sekretär, Dolmetscher und theologischer Berater für Papst Damasus I. tätig war. Da er sich zu dieser Zeit bereits einen Namen als Philosoph und dreisprachiger Gelehrter gemacht hatte, der mit dem Hebräischen, Griechischen und Lateinischen gleichermaÃen vertraut war, beauftragte ihn der Papst mit der Ãbersetzung und Revision der Bibel. Hieronymus begann mit der Ãbersetzung des Neuen Testaments und der Psalmen, wobei er anerkannte griechische Texte als Ausgangsmaterial verwendete.
Nach Damasus' Tod im Jahre 384 fiel Hieronymus in Ungnade. Er zog sich nach Bethlehem zurück und setzte dort seine Ãbersetzertätigkeit fort. Nachdem er eine Ãbersetzung des Alten Testaments aus dem Griechischen vollendet hatte, übersetzte er es aus dem Hebräischen noch einmal neu. Er ist dafür bekannt, als erster das Alte Testament direkt aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzt zu haben (hebraica veritas), und nicht ausgehend von der Septuaginta, einer früheren griechischen Ãbersetzung der hebräischen Bibel. Trotz einigen Widerstands gegen Hieronymus' Ãbersetzungen wurde die lateinische Vulgata mit seiner Ãbersetzung des Alten und des Neuen Testaments während Jahrhunderten von der römisch-katholischen Kirche verwendet.
Hieronymus war maÃgeblich an der Annäherung zwischen der klassischen Kultur und dem Christentum beteiligt. Zeit seines Lebens war er eine umstrittene Figur, hatte aber auch seine Anhänger. Seine Heiligsprechung erfolgte im 8. Jh. Der Kult um seine Person wurde während einiger Zeit vernachlässigt, erfuhr aber zur Zeit der Renaissance einen erneuten Aufschwung. Er war einer jener christlichen Heiligen, die zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert der Malerei und der Kunst im Allgemeinen am häufigsten als Quelle der Inspiration dienten. Seit 1992 feiert die Fédération Internationale des Traducteurs (FIT) am 30. September den Hieronymustag, den internationalen Tag der Ãbersetzung.
2. Das Ãbersetzen im Mittelalter
Vom Altertum bis ins Mittelalter ermöglichte die Arbeit von Ãbersetzern den Wissenstransfer zwischen den Zivilisationen. Einige Städte treten dabei als Zentren auÃerordentlicher übersetzerischer Tätigkeit hervor. Um 300 v. Chr. war die ägyptische Stadt Alexandria ein Ort des Austauschs zwischen Europa, dem Mittleren Osten und Indien, aber auch ein Zentrum der Hellenistik, in dem die Ãbersetzung eine wichtige Rolle spielte. Im 9. und 10. Jahrhundert übersetzten Gelehrte in Bagdad die wissenschaftlichen und philosophischen Werke der griechischen Antike ins Arabische, die Sprache des jungen islamischen Reichs Hauptfigur der Bagdader Schule war der Arzt Hunayn ibn Ishâq (809-875), ebenfalls bekannt unter seinem lateinischen Namen Johannitius.
Im 12. Jahrhundert wurden diese arabischen Ãbersetzungen, von denen manche ihre Originale überdauert hatten, in Toledo ins Lateinische übersetzt. Der Begriff "Schule von Toledo" steht für die Blütezeit der Ãbersetzung im Spanien des 12. und 13. Jahrhunderts. Im Zentrum des Interesses standen die philosophischen und wissenschaftlichen Errungenschaften der griechischen und arabischen Welt insbesondere in den Bereichen Medizin, Mathematik, Astronomie und Astrologie. Wurde während des 12. Jahrhunderts noch vornehmlich aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt, so entstanden im 13. Jh. hauptsächlich Ãbersetzungen aus dem Arabischen in die spanische Vernakularsprache.
Das damalige Europa war arm an wissenschaftlichen und philosophischen Werken. Im 12. Jahrhundert suchten Ãbersetzer unter der Schirmherrschaft der Kirche die lateinische Kultur mit fremdem Wissen zu bereichern. Mit diesem Schatz an Wissen als Fundament begannen sie schlieÃlich im 13. Jahrhundert unter dem Patronat Königs Alfonso X. mit dem Aufbau einer spanischen Kultur.
Der so genannten "Schule von Toledo" kam beim Transfer wissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnisse ins mittelalterliche Europa eine wichtige Rolle zu. Es steht auÃer Zweifel, dass die Ãbersetzer Toledos den westlichen Wissensstand grundlegend verändert haben. Die dank Avenos' und Avicennas Kommentaren eingeleitete Wiederentdeckung von Aristoteles führte in den neu gegründeten Universitäten zu einem intellektuellen Aufschwung. Der Transfer bedeutender Werke arabischen Ursprungs nach Europa hatte eine Erweiterung des Wissens und die Herausbildung eines umfassenderen Weltbildes zur Folge.
3. Renaissance und Reformation
Im 14. Jahrhundert entstand in Italien die Renaissancebewegung, die sich im 15. und 16. Jahrhundert in andere, weiter nördlich gelegene Regionen Europas ausbreitete. Damit begann eine Epoche, die durch neue Ideen und Glaubenskonflikte, Entdeckungen und Erfindungen, aber auch durch eine Rückbesinnung auf antike Zivilisationen gekennzeichnet war. Unterstützt vom Aufschwung, den die Erfindung der Druckerpresse ausgelöst hatte, entstanden zahlreiche Ãbersetzungen, die den Durst nach Wissen aus fernen Ländern und vergangenen Zeiten stillen sollten. Dieses Wissen war nicht mehr nur den Gelehrten vorbehalten, auch Diplomaten, Höflinge und Kaufleute verlangten danach. Ein neues goldenes Zeitalter der Ãbersetzung hatte begonnen. Jene Epoche war von zwei wichtigen Strömungen geprägt: Einerseits durch den Humanismus mit seinem neu erwachten Interesse an den Sprachen und der Literatur der Klassik, andererseits durch die Reformationsbewegung, die ebenfalls eine Rückbesinnung auf die Ursprünge anstrebte, in diesem Fall jedoch auf die Bibel und die Sprachen ihrer ursprünglichen Fassung, das Griechische und Hebräische.
Verschiedentlich ist gesagt worden, die Ãbersetzungsproblematik sei der Auslöser für die Reformationsbewegung gewesen. Die katholische Kirche hatte die Ãbersetzung sakraler Texte stets abgelehnt und die Ansicht vertreten, die Sprache des christlichen Glaubens sei ausschlieÃlich das Lateinische - obgleich die Vulgata, wie bereits erwähnt, selbst eine Ãbersetzung ist. Die Ãbersetzung der Bibel war also ein gefährliches Unterfangen.
Martin Luther (1483-1546) gilt als Begründer der Reformation. Nach seinem Rechtsstudium trat er in ein Augustinerkloster in Erfurt ein. Er wurde 1507 zum Priester geweiht und promovierte 1511 zum Doktor der Theologie. Luther widmete sich zeit seines Lebens dem Studium der Bibel. Er lehnte sich gegen zahlreiche Praktiken der Kirche auf und kritisierte insbesondere die Ablassdoktrin. SchlieÃlich wurde er exkommuniziert und aus dem Reich verbannt, worauf er sich auf die Wartburg zurückzog, wo er seine Ãbersetzung des Neuen Testaments in Angriff nahm (s. Art. 77).
Zu jenem Zeitpunkt existierte bereits eine althochdeutsche Version der Bibel. Mehrere Bibelübersetzungen, die vor Luthers Zeit entstanden waren, hatten gezeigt, wie sehr der "gemeine Mann" eine Bibel in seiner eigenen Sprache brauchte, Zusammen mit einer Gruppe Gelehrter arbeitete Luther von 1521 bis 1534 an seiner Ãbersetzung. Dabei konsultierte er Spezialisten der griechischen, lateinischen und hebräischen Sprache sowie Personen, die mit dem Wort- schatz spezifischer Tätigkeiten vertraut waren, wie etwa Förster, Wildhüter usw.
Luthers deutsche Ãbersetzung von Erasmus' griechischer Version des Neuen Testaments wurde 1522 veröffentlicht, die vollständige Bibel erschien 1534 in Wittenberg. Die Lutherbibel war die erste direkte Ãbersetzung der Heiligen Schrift aus den Originalsprachen Griechisch und Hebräisch in eine moderne Sprache, bei der die lateinische Vulgata jedoch nicht ganz vernachlässigt worden war. Seine Ãberlegungen zum Ãbersetzen hielt Luther in zwei Schriften fest, im Sendbrief vom Dolmetschen und in den Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens. Diese Texte sollten seine Ãbersetzungen rechtfertigen und die Anschuldigungen seitens der katholischen Kirche, er hätte die Heilige Schrift verändert oder verfälscht, entkräften.
Die Bedeutung von Luthers Werk für die institutionalisierte Religion ist unbestritten. Bald nach seinem Tod wurde jedoch auch sein auÃerordentlicher Einfluss auf Sprache und Ãbersetzung offensichtlich. Die ersten deutschen Grammatiken aus dem 16. Jahrhundert basierten direkt auf Luthers Bibelübersetzung. Der normative Einfluss seines Sprachgebrauchs lässt sich bis zum Erscheinen von Grimms Wörterbuch im 19 Jahrhundert nachweisen, welches als wichtigste Quelle Luthers Ãbersetzung nennt.
Mit seiner Bibelübersetzung leistete Luther einen wesentlichen Beitrag zur Bereicherung, Standardisierung und stilistischen Vielfalt der deutschen Sprache. Klarheit, allgemeine Verständlichkeit, Einfachheit und Lebendigkeit sind die wichtigsten stilistischen Eigenschaften seiner Bibelübersetzung, die noch heute als Beispiel für guten Sprachgebrauch gilt Sein Werk diente als Vorbild für Ãbersetzungen der Bibel in weitere Vernakularsprachen wie Schwedisch, Dänisch und Slowenisch.
Eine andere wichtige Figur der Reformationsbewegung war der Engländer William Tyndale (ca. 1494-1536), der wegen seiner Ãbersetzertätigkeit zum Tode verurteilt wurde. Schon früh in seiner Karriere wurde er der Ketzerei verdächtigt. Nachdem seine Bemühungen scheiterten, den Bischof von London für seine geplante englische Ãbersetzung der Bibel zu gewinnen, musste Tyndale England verlassen und fortan als Verfolgter auf dem europäischen Festland leben. In Deutschland traf er mit Luther zusammen, anschlieÃend übersetzte und veröffentliche er das Neue Testament. Seine Ãbersetzung des Pentateuchs, der ersten fünf Bücher des Alten Testaments, erschien in Antwerpen. Nachdem er von einem Landsmann an Agenten Karls V. verraten worden war, wurde er in Vilvorde in der Nähe von Brüssel auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Tyndale und sein Werk waren lange Zeit kaum beachtet worden. Erst in jüngerer Vergangenheit wurde das Interesse an seiner Person wieder wach, und er gilt seitdem als Patriarch der englischen Sprache und Literatur. Tyndale war ein auÃerordentlicher Gelehrter und Linguist, dessen herausragende Qualität die Klarheit war. Seine logischen und rhetorischen Fähigkeiten verdankte er seiner Ausbildung in Oxford, seinen Kenntnissen in acht Sprachen, darunter Griechisch und Hebräisch (in der Tat eine Ausnahme für einen Mann seiner Zeit), seiner Erfahrung als Priester und nicht zuletzt seinem Sinn für eine eigenständige englische Tradition des Schreibens. Tyndale übersetzte in die gesprochene Sprache des Volkes, nicht in die Schriftsprache der Gelehrten, und schuf damit eine Sprache für England, so wie es Luther für Deutschland getan hatte.
4. Das Ãbersetzen seit der Romantik
Mit Goethe und den deutschen Romantikem begann eine wichtige Periode der literarischen Ãbersetzung Zusammen mit Ludwig Tieck übersetzte A.W. Schlegel die Werke Shakespeares und anderer Schriftsteller der Romantik; Schleiermacher übersetzte Plato Goethes Ãbersetzungen füllen einen ganzen Band seiner gesammelten Werke: Deutsche Versionen von Werken Diderots, Voltaires und Racines sowie italienischer, englischer und spanischer Gedichte. Diese praktische Ãbersetzungstätigkeit wurde von theoretischen Ãberlegungen in beachtlichem Umfang ergänzt. Goethe unterschied zwischen mehreren Formen der Ãbersetzung und betonte die Bedeutung des Ãbersetzens als Mittel zur Verwirklichung der Universalität Dichter und Denker wie Schlegel, Novalis, Schleiermacher und Humboldt rückten den Status und das Potential der Ãbersetzung in ein neues Licht (s. Art 24,75).
Im 20. Jahrhundert, besonders in der Nachkriegszeit, hat das Ãbersetzen einen noch nie da gewesenen Aufschwung erlebt. Dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und verbesserter Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Nationen haben sich Dolmetschen und Ãbersetzen zu hoch spezialisierten Tätigkeiten entwickelt. Während in der Vergangenheit noch fast ausschlieÃlich religiöse und literarische Texte übersetzt wurden, hat sich das Tätigkeitsfeld des Ãbersetzers im 20. Jahrhundert auf eine Vielzahl von Gebieten ausgedehnt Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Politik uvm.
Die Entwicklung der internationalen Beziehungen hat den Bedarf an qualifizierten Berufsübersetzern und –dolmetschern rapide anwachsen lassen. Dies führte zu einem höheren Organisierungsgrad des Berufsstandes, u.a. durch die Gründung nationaler und internationaler Berufsverbände, und zur Einrichtung von Ausbildungsstätten für Ãbersetzer und Dolmetscher. Gleichzeitig wurden spezifische Unterrichtsmethoden entwickelt und Lehrbücher in groÃer Anzahl und Vielfalt veröffentlicht. Im Zuge der zunehmenden theoretischen Reflexion durch Praktiker, Lehrende und Ãbersetzungswissenschaftler entstanden in den letzten Jahrzehnten Fachzeitschriften und Verbände zur Förderung der Translationswissenschaft, und der ständig wachsende Bestand an Wissen im Bereich der Translation ist in den wichtigsten Sprachen der Welt zugänglich geworden.